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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 48
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Anhand des Kapitels Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben aus Alexander Kluges 2007 erschienenen Buch Geschichten vom Kino zeigt die Literaturwissenschaftlerin Eva Wißkirchen viele für Kluges Werk insgesamt bedeutende Phänomene, Inhalte, Formen und Theorien. Im Verlauf der Untersuchung immer wieder vom Teil auf das Ganze des Werks zu rekurrieren, drängt sich im Falle Alexander Kluges insofern auf, als sich seine Publikationen, gleich in welchem Medium, dadurch auszeichnen, dass sie Agglomerationen von kleinen Einheiten sind, die in verschiedene Zusammenhänge gestellt werden können. Für diese spezifische Art der Zusammenstellung - der Erstellung von Zusammenhängen - hat Kluge in den letzten Jahren wiederholt das Bild des Korallenriffs verwendet. Die Arbeit schließt deshalb damit, zu erläutern, welche Vorzüge dieses Bild gegenüber früher von Kluge und anderen zur Beschreibung seines Werks herangezogenen Bildern bietet. Als Bonus findet sich im Anhang eine frühere Arbeit der Autorin, die diese Kategorie Zusammenhang bei Kluge in Hinblick auf Komik untersucht.

Leseprobe

Kapitel 5, ‘4/ Konzentratregen in Hurrikans’: Der erste Absatz beschreibt im Präsens das Wüten des Hurrikans Charley. Zunächst werden nüchtern (etwa im Stil eines Fernsehberichts) Informationen über Windgeschwindigkeit, geographische Lage, zu erwartende Wellenhöhe und den Autoverkehr der aus dem Gefahrengebiet Herausfahrenden gegeben. Dann vermischen sich verschiedene Sprechhaltungen. Der Hurrikan wird personifiziert, er ‘schlürft’ (wobei dieses Verb in Anführungszeichen steht, wohl um sich zu distanzieren, da eine gewisse Unangebrachtheit gespürt wird), er ‘bevorzugt’ Wasser zehn Meter unter der Oberfläche und ‘transportiert’ es ‘von dannen’ (175). Leicht anachronistische Formulierungen des gehobenen Stils (‘von dannen’, ‘das jedes Maß zugrunde richtet’ (175)) mischen sich mit Mengen-, Längen- und Höhenangaben (Quadratkilometer (die eigentlich Kubikkilometer sein müssten), Meter und Kilometer) und Fachbegriffen (Falschfarben-Wetterkarte). Es werden also zur Beschreibung des Hurrikans verschiedene Sprechhaltungen montiert: gefühlsbetont (Personifizierung) und pathetisch (gehobener Stil) auf der einen, nüchtern und fachsprachlich auf der anderen Seite. Der nächste Absatz ist ein Einschub über persönliche Veränderungen, die sich unter solchen, nicht unbedingt unter genau diesen, Umständen ereigneten: Unter solchen Güssen lernten sich 48 Paare kennen, die für ihr Leben zusammen blieben. 24 solcher Paare, in der Not zueinander getrieben, ließen sich später scheiden. Die Gefahr der sie ausgesetzt gewesen waren, hatten sie vergessen. (175) Dieser Gedanke, eine Mischung aus persönlichem Schicksal und statistischer Betrachtung solcher Schicksale, wird zunächst nicht weiter verfolgt. Stattdessen folgt ein ebenso kurzer Abschnitt, indem von präzisen Messwerten der Saffir-Simpson-Skala, die nach oben nicht offen seien, die Rede ist: ‘Bis 160 Kilometer pro Stunde reicht die Kategorie 2. Die Kategorie 3 eines Hurrikans: zwischen 174 und 209 Kilometer Windgeschwindigkeit pro Stunde.’ (175) Wenn dies stimmen würde, hätte die Skala eine Lücke zwischen 160 und 174 km/h. Tatsächlich geht Kategorie 2 bis 177 km/h und nach Kategorie 3 folgen noch 4 und 5, wobei letztere durchaus nach oben offen ist, nämlich alles über 250 km/h umfasst. Hier zeigt sich wieder, dass es Kluge nicht darum geht, dem Leser technisch exaktes Wissen zu vermitteln. Die Literatur arbeite mit Ahnungsvermögen, sagte er 2011 in einem Interview: ‘Sonst könnten Sie ja gleich Wissenschaftler in Harvard werden’. Er möchte das Gefühl vermitteln, dass ein Hurrikan auslöst, und das gelingt besser, wenn er den Anschein erweckt, die Stufe 3 sei objektiv das höchste und nach oben nicht offen, der beschriebene Hurrikan sei also die maximale Gefahr. Denn so empfindet auch der Mensch im Hurrikan: Er denkt im Moment der Gefahr nicht, dass alles noch viel schlimmer sein könnte, da er schließlich auch in einem Hurrikan der Kategorie 5 stecken könne. Die folgenden Abschnitte sind aus der Sicht eines Filmteams geschrieben, das zusammen mit Meteorologen mit Flugzeugen in das Auge der Hurrikane Fabian und Isabelle fliegt, um dort Aufnahmen zu machen, was sich als schwierig herausstellt, da sich zwar der Hurrikan abbilden lässt, aber nicht seine Gefährlichkeit: Sieht man aber den Hurrikan im Film, so schein er nicht gefährlich. Zeigt man ein Element seiner Gefährlichkeit, z. B. in Form seiner Rasanz, der aufwärts sprühenden Meeresoberfläche, so sieht man keinen Hurrikan. (177) Das Filmteam verwendet schließlich nicht die eigenen Aufnahmen vom Hurrikan, die sie unter Lebensgefahr gemacht hatten, sondern gekaufte Aufnahmen von Gießbächen des Unglücks, die sie durch Parallelschnitt mit eigenen Aufnahmen von Paaren konfrontierten. Es bleibt unklar, ob dies die Paare sind, von denen schon im zweiten Absatz die Rede war, allerdings ist zu bedenken, dass es auch zwei unterschiedliche Hurrikangeschehen sind, von denen berichtet wird: Erst ist es der Hurrikan Charley, später die Hurrikane Fabian und Isabelle, die offenbar zusammen auftraten. Es ist charakteristisch für Kluges Erzählweise, dass er zwar Namen tatsächlicher Hurrikane aufgreift, aber wesentliche Fakten verändert oder weglässt. In den Romanen des Bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert war es ein häufig verwandtes Mittel, die Gefühle des Protagonisten vermittelst einer Beschreibung des Wetters darzustellen. Hier wird von dem Filmteam der umgekehrte Fall versucht: Meine Erfahrung ist, daß dies die beste Mitteilungsform bleibt, um Konzentratregen eines Hurrikans zu beschreiben: Die persönlichen Erlebnisse von Leuten, die Gefühle für einander empfinden. (175) Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass die Filmaufnahme nichts beschreibt, sondern nur wiedergibt. Deshalb müssen die Aufnahmen kontrastierend montiert werden. Die erste Beschreibung des Hurrikans Charley ist eine literarische Bearbeitung und vermischt verschiedene Sprechhaltungen. Die zweite Beschreibung ist zusätzlich die literarische Bearbeitung der Möglichkeiten einer filmischen Darstellung.

Über den Autor

Eva Wißkirchen wurde 1980 in Bonn geboren. Sie studierte zunächst Philosophie und Musikwissenschaften in Bonn, später Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften in Berlin, wobei sie sich besonders enthusiastisch mit den Beziehungen zwischen Literatur und anderen Künsten (Film, Musik, Bildende Kunst) befasste. Außeruniversitär widmete sie sich der praktischen Seite der Transmedialität von Bildern, Gedanken und Gefühlen in Kunstprojekten, so zum Beispiel 2011 in der Wanderausstellung , einer performativen Wanderung, bei der Leinwände mit Gemälden der Künstlerin Katrin Kampmann, die unter Einfluss bergbezüglicher Literatur, Filmen und Philosophie in Berlin entstanden waren, auf 2000 - 3000 m Höhe durch die Zillertaler Alpen getragen und auf Berghütten ausgestellt wurden.

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