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- „Never free, never me“ - Autoritätenkritik in der Rockmusik: Eine Analyse von Metallicas „The Unforgiven“ und Pink Floyds „The Wall“ im Vergleich mit Charles Dickens’ „David Copperfield“
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 52
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Rockmusik und die von ihr vermittelte Ideologie stehen für Authentizität und lehnen es ab, sich Konventionen zu unterwerfen. Diese protesthafte Lebenshaltung ist oft mit jugendtypischen Entwicklungsproblemen, Identitätskrisen und dem Streben nach Individualität verbunden – Themen, die bereits im viktorianischen Bildungsroman des 19. Jahrhunderts gerne aufgegriffen wurden. So kämpft Charles Dickens’ David Copperfield darum, trotz strenger viktorianischer Moralvorstellungen als Schriftsteller eine Stimme zu bekommen und ist damit gar nicht so anders als die Protagonisten mancher Rocksongs. Denn auch in Pink Floyds Konzeptalbum The Wall und der Songtrilogie ‘The Unforgiven’ von Metallica fühlen sich die Protagonisten von gesellschaftlichen Normen und autoritären Instanzen in ihrer Identitätsfindung behindert. Welche ‘Coming-of-Age’-Probleme haben sie mit David Copperfield gemeinsam und warum macht es ihnen die vermeintliche Freiheit der Postmoderne nicht unbedingt leichter? Finden sie ihren Platz in einer von überholten Moralvorstellungen vergifteten Gesellschaft oder ist das genauso wenig möglich wie erstrebenswert?
Textprobe: Kapitel 2, Charles Dickens: David Copperfield und die Idee des Bildungsromans: David Copperfield ist ein exemplarisches Beispiel für den viktorianischen Bildungsroman, in dem der Protagonist sich in ständiger Interaktion mit seinem sozialen Umfeld entwickelt. Er beschreibt den Weg eines Menschen und seine Entwicklung, hier aus der retrospektiven Sicht des Protagonisten selbst, in einer strikt zielgerichteten Erzählweise, da jedes beschriebene Ereignis Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und damit den weiteren Handlungsverlauf hat: ‘[...] the Bildungsroman examines a ,legitimate course’ of an individual’s development, each stage having its own specific value’ Dabei muss der Bildungsheld eine Reihe von ‘Initiationstests’ bestehen, die es ihm erlauben, erwachsen zu werden und sein Ziel zu erreichen, das hier klar definiert ist: er muss einen Platz in der Gesellschaft finden, der es ihm erlaubt, persönliche Wünsche und gesellschaftliche Erwartungen zumindest vermeintlich zur Übereinstimmung zu bringen und damit ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft und der sozialen Schicht zu werden, zu der er gehört. Dabei schüren natürlich die sozialen Umstände im gerade industrialisierten England des 19. Jahrhunderts besonders den Konflikt zwar hat das Individuum als solches an Bedeutung gewonnen, aber vor allem in der bürgerlichen Mittelschicht weisen es strenge Normen und Werte sofort wieder in seine Schranken. Auch in der Erziehung an Schulen und ähnlichen Einrichtungen wird gerne die persönliche Entwicklung der jungen Menschen in eine bestimmte Richtung geleitet, wie es auch bei Charles Dickens oft thematisiert wird. David Copperfield läuft allerdings trotzdem geradlinig auf sein Ziel zu: Davids erfolgreiche Integration in die Gesellschaft. 2.1, Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft: Der innere Konflikt von David Copperfield beginnt bereits in seiner frühen Kindheit: er wächst ohne Vater bei seiner kindlich-naiven Mutter Clara Copperfield auf und lebt so die ersten Jahre seines Lebens wie abgeschottet von der Realität in einer vermeintlich perfekten Idylle von mütterlicher Liebe. So wird er zunächst nicht mit den strengen Regeln der Welt außerhalb seiner ‘Seifenblase’ konfrontiert und entwickelt sich zu einem Kind, das viel zu sensibel ist, um diesen tatsächlich Stand zu halten ‘David is a sensitive child and his sensitivity is to make him terribly vulnerable to adult cruelty and adult neglect‘. Diese Verletzlichkeit wird ihm zum Verhängnis, als durch die erneute Heirat seiner Mutter sein grausamer Stiefvater Edward Murdstone und dessen Schwester in sein Leben treten. Schnell hat dieser zusammen mit seiner Schwester das komplette Familienleben der Copperfields unter seiner Kontrolle. Er greift in Claras Erziehungsmethoden David gegenüber ein (‘Now Clara, […] be firm with the boy’) und übernimmt die Erziehung nun häufig auch selbst, indem er David mit Schlägen züchtigt. So zeigt sich zum ersten Mal der Konflikt, zwischen dem, was David persönlich möchte, nämlich seine unbeschwerte Kindheit in der Obhut seiner Mutter fortzusetzen und dem, was andere, in diesem Fall Mr und Miss Murdstone von ihm erwarten, nämlich Gehorsam und den Wert von ‘firmness’, wie sie es nennen, den David als nichts anderes als ‘another name of tyranny’ empfindet. Seine in den ersten Lebensjahren durch die naive Mutter geprägte Sensibilität zeigt sich vor allem in seinem Trotz und seiner Zurückweisung gegenüber dem Stiefvater, der versucht, ihn mit für ihn viel zu anspruchsvollem Unterricht zu schikanieren der kleine David reagiert darauf meist, indem er sich in sein Bett verkriecht oder in Tränen ausbricht, wodurch er die Situation nur verschlimmert, da Mr. Murdstone daraufhin der Meinung ist, noch strenger mit ihm sein zu müssen. David zieht sich immer mehr in die Welt der Bücher zurück, die sein verstorbener Vater auf dem Dachboden hinterlassen hat und ihm in dieser Zeit den einzigen Hoffnungsschimmer bieten: ‘They kept alive my fancy and my hope of something beyond that place and time […] This was my only and my constant comfort.’ Dadurch deutet sich einerseits schon Davids Affinität zur Literatur an, die später für seine Sozialisation essenziell ist in diesem Stadium seiner Entwicklung bilden Bücher noch einen Kontrast zu dem, was eigentlich von ihm erwartet wird, seinem Stiefvater zu gehorchen, und scheinen damit unvereinbar zu sein. Außerdem zeigt sich hier auch eine typische Reaktion eines Individuums auf zu strenge Anforderungen von außen, nämlich ein bewusstes Isolieren von der Außenwelt, was später in der Analyse der Texte von Metallica und Pink Floyd umso deutlicher werden soll. So wird hier der Konflikt zwischen David und seinem sozialen Umfeld bereits in den ersten Kapiteln deutlich und wird sich in den darauf folgenden Episoden aus seiner späteren Kindheit und Adoleszenz noch weiterhin verstärken, um sich dann nach und nach aufzulösen. Dazu müssen nun erst einmal die verschiedenen Maßnahmen betrachtet werden, die andere Figuren treffen, um David ‘undiszipliniertes Herz’ zu disziplinieren. 2.2, Die verschiedenen Erziehungsmethoden in David Copperfields Leben: David unterläuft im Laufe seiner Kindheit und Jugend verschiedenste Erziehungsmethoden schon allein dadurch, dass er bereits als Kind aufgrund von Schicksalsschlägen bei verschiedensten Menschen, die verschiedenen sozialen Schichten angehören, lebt. Wenn man die liebevolle, aber inkonsequente Erziehung seiner Mutter und deren Haushälterin Pegotty bevor Mr. Murstone in ihr Leben tritt nicht mitzählt, so kann man die Erziehungsmethoden in zwei Kategorien einteilen. Die erste ist eine aggressive und offensichtlich repressive Erziehung, die er erstmals bei Mr. Murdstone und später im Internat Salem House erlebt. Das Prinzip dieser Methoden erscheint in jeder Hinsicht negativ: David muss das tun, was ihm gesagt wird, ohne dass ihm Platz für eigenes Denken und persönliche Entwicklung gelassen wird. Wenn er die Regeln nicht befolgt, führt das zu gewalttätiger Bestrafung, die sich in Schlägen oder striktem Hausarrest äußert. Auch Salem House, das Internat, in das Mr. Murdstone David schickt, nachdem er sich ihm widersetzt hat, wendet ähnliche Methoden, kombiniert mit sozialer Demütigung an. Beispielsweise wird David gleich am ersten Tag ein Schild mit der Aufschrift ‘Take care of him. He bites.’ um den Hals gehängt, als Anspielung auf seine ‘Missetat’ gegenüber Mr. Murdstone. Als David im Alter von nur zehn Jahren nach dem Tod seiner Mutter von den Murdstones in eine Weinfabrik zum arbeiten geschickt wird, zeigt er zum ersten Mal in seinem Leben nicht nur Trotz, sondern ergreift tatsächlich Eigeninitiative er entflieht nachdem er eine zeitlang Opfer von grausamer Kinderarbeit war, der Weinfabrik, um seine letzte lebende Verwandte, seine in Dover lebende Tante Betsey aufzusuchen und sie darum zu bitten, ihn zu adoptieren. Nachdem sie eingewilligt hat, beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt geprägt von einer auf den ersten Blick vollkommen gegensätzlichen Form der Erziehung. Hier kommt es nämlich weder zum direkten Einsatz von körperlicher Gewalt, noch werden Regeln auf jene dogmatische Weise festgelegt wie bei den Murdstones oder in Salem House. Vielmehr lebt Miss Betsey ihm ihre Werte von der ‘praktischen Häuslichkeit der Mittelschicht’ vor, indem sie ihm die Vorzüge dieses Lebens in Form eines ordentlichen Zuhauses, sauberen Laken und neuer Kleidung präsentiert. Außerdem spielt auch subtil fungierende soziale Kontrolle in ihrer Erziehungsmethode eine große Rolle. Beispielsweise schickt sie ihn in Canterbury in die Schule des Dr. Strong, der seine Schüler statt durch Prügel durch eine Art soziales Netzwerk diszipliniert, das das Benehmen der Schüler durch gesellschaftliche Ereignisse wie Feiern und ähnliches auf diskrete Weise überwacht. Außerdem baut Dr. Strong seine Schule auf bourgeoisen Werten wie ‘honour and the good faith of the boys’ auf. Gareth Cordery behauptet in seinem Aufsatz ‘Foucault, Dickens, and David Copperfield’, dass sich Betseys Erziehung nur in ihrer Form von der Mr. Murdstones unterscheidet, das Ziel aber das Gleiche ist: ‘firmness of character’, was als Charakterstärke übersetzt werden kann. ‘David simply exchanges one form of social discipline that is openly repressive and corporeal for another, that is covert and internal.’ Zwar könnte man dieser These Betseys Aussage gegenüber David entgegenhalten, in der sie behauptet: ‘I want you to be […] a fine, firm fellow […] with a will of your own.’ Dennoch ist die Frage, wie viel eigener Wille bei so viel sozialer Kontrolle und dem strikten Vorschreiben und Vorleben von bestimmten Werten überhaupt übrig bleibt. Denn auch wenn Betsey möchte, dass David seinen eigenen Willen behält, so hat sie doch genaue Vorstellungen davon, was und wie er einmal werden soll und vor allem, dass er einmal auf ähnliche Art wie sie selbst die bürgerlichen Werte der Mittelschicht vertreten soll, was er nach einem langem Weg am Ende des Romans auch schließlich tut. Zwar sind diese Werte im Roman und auch aus Davids Sicht sehr positiv bewertet, aber dennoch strikt vorgeschrieben: ‘The good heart must learn the nature of ‚real truth and love’ in order to overcome ‚evil and misfortune in this world’. This is the discipline, which David and every good man must achieve’. So ist die Erziehung seiner Tante Betsey für David scheinbar das Richtige und trägt auch zu einem sehr großen Teil dazu bei, dass er am Ende seinen Platz in der Gesellschaft findet. Aus heutiger Sicht ist dem aber entgegen zu halten, dass es hier scheinbar nur einen richtigen Weg gibt, den man im Leben einschlagen kann und dass dadurch die Unterdrückung des Individuums noch lange nicht eliminiert ist. 2.3, Die Auswirkung der Disziplinierungsversuche: Um den Grundgedanken der persönlichen Entwicklung und Identitätsfindung von David Copperfield weiter zu verfolgen, ist es wichtig, herauszuarbeiten, welchen Einfluss diese verschiedenen Versuche, ihn zu erziehen, ihm Disziplin beizubringen, schließlich auf ihn haben. Als die Murdstones in sein idyllisches Leben treten, reagiert David als ein Kind, das Liebe anstatt Autorität gewohnt ist, auf die gewaltsamen Methoden mit Trotz er zieht sich zurück und wehrt sich schließlich gegen die körperliche Gewalt seines Stiefvaters, indem er ihn beißt. Die Erziehungsmethode scheint demnach eher ins Gegenteil von ihrem gewünschten Effekt umgeschlagen zu sein, doch wenn man sein Verhalten in Salem House betrachtet, scheint Murdstones Erziehung doch zumindest oberflächlich einen gewissen Effekt gehabt zu haben. Denn schon dort hat David das Ursache-Wirkungs-Geflecht verstanden: auf undiszipliniertes Verhalten folgt Strafe, deshalb ist dieses Verhalten zu vermeiden. So findet er sich in dem ebenso totalitären System von Salem House schon um einiges besser zurecht, als zuvor bei den Murdstones, da er diese gewalttätige Form der Erziehung bereits kennt, wenn auch immer noch nicht versteht, genauso wenig wie der Erwachsene Erzähler sie gutheißt. Auch später scheinen diese Episoden seines Lebens, wie hart sie auch waren, für ihn absolut notwendig gewesen zu sein, um überhaupt die Kraft zur Eigeninitiative zu finden, aber auch um Miss Betseys subtile Form der Kontrolle als angenehme Erleichterung zu empfinden. Vor allem wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte von David als jungen Erwachsenen betrachtet, so scheint er die bürgerlichen Werte der Mittelklasse, die seine Mutter ihm durch ihre kindliche Art nicht zeigen konnte, absolut zu übernehmen. Dazu trägt natürlich seine Tante Betsey einen großen Teil bei, vor allem aber erfährt er dieses Ideal als er in Canterbury zur Schule geht und dort beim Anwalt Mr. Wickfield und dessen Tochter Agnes lebt. Er sieht, wie Agnes sich um ihren Vater und ihren Haushalt kümmert und damit dem Idealbild der viktorianischen Frau, dem ‘angel in the house’ entspricht, die sich still und unaufgefordert um alle häuslichen Pflichten kümmert und damit die Rolle des Mannes als Ernährer der Familie perfekt unterstützt. Dadurch, dass David in dieser Zeit seines Lebens diese Werte übernimmt, folgt auch die Unzufriedenheit in seiner ersten Ehe mit Dora Spenlow, die als schönes, aber naives Mädchen eher an seine Mutter erinnert. So zeigt sich, dass David aus heutiger Sicht chauvinistische und repressive viktorianische Werte übernommen hat: ‘More typical or more interesting is the revelation of Dickens’s implicit social attitudes, often remaining well below the concious level of criticism. [...] David often reveals […] Victorian limitations which the author does not see but which the modern reader most certainly does.’ Eines der wichtigsten Beispiele ist, dass er sich immer wieder erneut darüber beklagt, dass Dora nicht wirklich in der Lage ist, einen Haushalt zu führen und ihn damit in seiner Arbeit zu unterstützen. Außerdem sucht er genau dieses Ideal einer Frau schließlich, als er Jahre nach Doras frühem Tod die fürsorgliche, aber eher unterwürfige Agnes Wickfield heiratet.
Senta Gekeler, B.A., geboren 1989, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg und schloss 2013 ihren Bachelor of Arts ab. Ihr besonderes Interesse gilt der Verbindung zwischen kanonisierter Literatur und der heutigen Populärkultur. Deshalb liegen ihre Forschungsschwerpunkte auf der literaturwissenschaftlichen Analyse von zeitgenössischen kulturellen Phänomenen wie Kinofilmen und Rockmusik.