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- Mensch oder Bürger? Jean-Jacques Rousseaus alternative Ansätze als Gegenpol zum gesellschaftlichen Phänomen der Selbstentfremdung beim modernen Menschen
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Rousseaus Zivilisationskritik bezog sich vor allem auf die durch den Fortschritt entstandenen neuen Begierden und Interessenkonflikte, die den Menschen, seines Erachtens nach, in ein Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis drängen würden, ihn somit in Widerspruch mit seinen natürlichen Anlagen bringen und schließlich von sich selbst entfremden würden (vgl. Meermann, 2005). Er ging davon aus, dass die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Existenzform des Subjektes und seiner eigentlichen Natur, also seinen ursprünglichen Grundstrebungen, den Ausgangspunkt für die Entstehung der Ungleichheit und des Bösen bilde und somit Schuld am sittlichen Verfall des modernen Menschen habe (vgl. Broecken, 1974). Jean-Jacques Rousseau hat sich Zeit seines Lebens mit den Grundlagen der Laster und des Elends der Menschen und somit auch mit dem Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, Begierde und Tugend sowie Freiheit und Autorität auseinandergesetzt (vgl. Soëtard, 1989). Er versuchte, den Widerspruch des Individuums, der zwischen seinem natürlichen und seinem gesellschaftlichen Sein existiert, zu überwinden, indem er zwei unterschiedliche Modelle der Lebensführung entwarf: Mensch (homme) und Bürger (citoyen). Auf der Grundlage seiner Werke – ‚Diskurs über die Ungleichheit’ (1755), ‚Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes’ (1762) und ‚Emil oder über die Erziehung’ (1762) - wird diese Arbeit zunächst untersuchen, wo genau nach Rousseau die Gründe für den fatalen Widerspruch und somit auch die Bedingungen für die Entfremdung des Menschen anzusiedeln sind. In diesem Zusammenhang wird versucht, die Entwicklung von Rousseaus Naturzustand hin zum Gesellschaftszustand nachzuzeichnen und die Differenzen zwischen den einzelnen Stadien aufzuzeigen. Des Weiteren wird der Versuch unternommen, herauszustellen, was Jean-Jacques Rousseau unter den Kategorien Mensch und Bürger versteht und ob diese als alternative Existenzen zu dem gegenwärtigen, entfremdeten und modernen Menschen überhaupt denkbar sind. Dabei wird der Fokus der Analyse über den Bürger jedoch nicht primär auf die politische Dimension, sondern auf die entsprechende Erziehungsart gerichtet. Das Kapitel über den Menschen soll vorwiegend die Inhalte der natürlichen Erziehung fokussieren und sich an den Gesetzen der Notwendigkeit, Nützlichkeit und Sittlichkeit orientieren.
Textprobe: Kapitel II. c, Der Gesellschaftszustand: Stadium der Selbstentfremdung: Der erste, reine Naturzustand endet in dem Augenblick, in dem die Wirkungen der Vervollkommnungsfähigkeiten auftauchen und der Naturmensch zum Bewusstsein seiner selbst kommt. Indem er zu sich selbst kommt, setzt er sich reflexiv in Beziehung zu seiner Umwelt und fängt an, die Welt und somit auch sich zu verändern (vgl. Nonnemacher 1989, S. 218). In diesem zunächst vorstaatlichen Gesellschaftszustand leitet die Berührung der Menschen mit Ihresgleichen, nach Rousseau, einen Wandel der Selbstliebe (amour de soi) zur Eigenliebe (amour propre) ein (vgl. Bockow 1984, S. 49). War der Naturmensch ganz bei sich und nur um sein eignes Wohl besorgt, so muss er nun aus sich heraustreten und sich in ein Verhältnis zu den anderen setzen. Dies war aber eigentlich nicht das Ziel der Vergesellschaftung, sondern er musste die Tatsache auch für-die-andern-sein, seiner Selbstliebe willen - welche den einzelnen dazu auffordert, sich um seine Selbsterhaltung zu kümmern - in Kauf nehmen. Daraus kann man also schlussfolgern, dass auch der gesellige Mensch primär seinem eigenen Interesse nachgeht. Dies bedeutet folglich, dass er nur insoweit für seine Mitmenschen agiert, wie er daraus einen Nutzen für sich selber zieht. Hier wurde nun erläutert, warum der Mensch das Wohl der anderen nicht zum Gegenstand seines Handelns macht, dennoch bleibt die Frage offen, warum sich die Interessen der Einzelnen gegenseitig ausschließen und der Mensch schlussendlich ‘böse’ wird (vgl. Broecken 1974, S. 74-75). Die Antwort liegt für Rousseau im Vermögen, sich mit anderen zu vergleichen. Der Naturmensch war noch im Stande, seine Bedürfnisse aus eigener Kraft zu befriedigen. Im sozialen Zustand aber entstehen immer neue Begehren, deren Quelle in der Fähigkeit des Sich-Vergleichens entspringt. Präzise an diesem Punkt der Entwicklung schlägt die Selbstliebe dann in Eigenliebe um. Durch das Heraustreten aus der ursprünglichen Einheit mit sich selbst erwacht nämlich die Einbildungskraft. Sie bewirkt, dass der Mensch, beginnt sich Vorstellungen darüber zu machen, wie und was er im Vergleich mit seinesgleichen. Erst durch Reflektion gelangt er zu seinem Selbst-Bewusstsein (Berief 1991, S. 242). Fischer (1991) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der soziabel gewordene Mensch das Gefühl seines eigenen Daseins nicht mehr aus seinem eigenen Ich, sondern aus dem Urteil seiner Mitmenschen gewinnt (vgl. Fischer 1991, S. 54): ‘der soziable Mensch weiß, immer außer sich, nur in der Meinung der anderen zu leben und sozusagen aus ihrem Urteil allein bezieht er das Gefühl seiner eigenen Existenz’ (Rousseau 1984, 1755, S. 269). Aus dieser Tatsache wiederum erwacht dann das Bedürfnis nach Ehre, Ansehen, sich über die anderen hinwegzusetzen, kurzum das Bedürfnis nach dem ersten und besten Platz. Rousseau fasst diese Gedanken im Emil folgendermaßen zusammen: ‘veranlaßt ihn der erste Blick auf seinesgleichen zu einem Vergleich, und die erste Empfindung, die der Vergleich auslöst, ist der Wunsch nach dem ersten Platz’ (Rousseau 1971, 1762, S.23). Der Wunsch nach Anerkennung und dem Erlangen einer Sonderstellung unter den Anderen, ist das eigentliche Ziel des ‘amour propre’ (vgl. Bruppacher 1972, S. 85-86). Es kommt folglich zu einer ziellosen Zielstrebigkeit, denn jede Zufriedenheit oder Sättigung der Bedarfe wird von einer dauerhaften Sorge geplagt, da jedes befriedigte Bedürfnis wiederrum ein anderes nach sich zieht (vgl. Nonnenmacher 1989, S. 220). Diese Aussage soll hier noch einmal mit Rousseau auf den Punkt gebracht werden: ‘Die Selbstliebe, die sich selbst genügt, ist zufrieden, wenn unsere Bedürfnisse befriedigt sind. Die Eigenliebe aber stellt immer Vergleiche an und ist nie zufrieden. Sie kann es auch nicht sein, weil sie verlangt, daß uns andere sich ebenso vorziehen, wie wir uns ihnen vorziehen, und das ist unmöglich’ (Rousseau 1971, 1762, S.213). Diese Tatsache hat aber auch zur Konsequenz, dass die einst guten, aus der Selbstliebe hervorgegangenen Leidenschaften depravieren. Durch die unnötigen Bedürfnisse entstehen heftige Leidenschaften, die auch die entwickelte Vernunft nicht zu bändigen bedarf. Die Umwandlung der Selbstliebe in Eigenliebe führt aber auch dazu, dass die Bedarfe der einzelnen Individuen kollidieren und der eine unumgänglich zum Gegenspieler des anderen wird. Jeder versucht, den ersten Platz zu besetzen und somit muss der einzelne probieren, alle anderen, die ja die gleichen Interessen verfolgen, zu bekämpfen (vgl. Broecken 1974, S. 80). Bei der Eigenliebe geht es nach Oberparleiter-Lorke (1997) somit nicht mehr um einen Aufruf zur Einschränkung der eigenen Begehren, wie dies bei der Selbstliebe durch das Regulativ des natürlichen Mitleides geschah, sondern es handelt sich hierbei um eine Schwäche des Menschen, die die Umsetzung der eigenen Wünsche vorantreibt. Mit dem Schwinden der Selbstliebe wird somit auch der ursprüngliche innere Widerwillen gegen jegliches Leiden oder Sterben eines anderen Lebewesens verdrängt (vgl. Oberparleiter-Lorke 1997, S. 183). Die Eigenliebe ist aber nicht nur Quelle des Bösen, sondern auch die Quelle allen menschlichen Unglücks. Dieses Unglück stammt aus der Diskrepanz zwischen Wollen und Können. Das bedeutet, dass der Mensch, aufgrund seines Strebens nach der Errungenschaft einer Sonderstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen, in denen er eingebunden ist, ständig unzufrieden und hasserfüllt ist, da dieses Ziel für ihn unerreichbar ist. Schuld an der Selbstentfremdung des Menschen trägt also nicht die Einführung des Eigentums, sondern die menschliche Entwicklung von einem isolierten hin zu einem geselligen Wesen (vgl. Broecken 1974, S. 81). Der erste Schritt in die Selbstentfremdung hat sich also präzise daraus ergeben, dass der Mensch sich aus der Perspektive seiner Mitmenschen betrachtet und somit sein Selbstgefühl aus dem Urteil der anderen gewinnt (vgl. Broecken 1974, S. 81): ‘Der Wilde lebt in sich selbst, der soziable Mensch weiß, immer außer sich, nur in der Meinung der anderen zu leben und sozusagen aus ihrem Urteil allein bezieht er das Gefühl seiner eigenen Existenz’ (Rousseau 1984, 1755, S. 269). Darüber hinaus wird auch das Verhalten der Menschen entfremdet, in dem sie nach Ansehen des eigenen Ich im Urteil der anderen verlangen. Dieses Urteil aber beruht darauf, wie dieses Ich sich den anderen darstellt. Der gesellschaftlich lebende Mensch muss somit ständig vorgeben, etwas zu sein, was er nicht ist. Ihm geht es vor allem um den Schein: ‘Was er ist, ist nichts was er scheint, ist ihm alles’ (Rousseau 1971, 1762, S.213). Dieses Ansehen bekommt man vor allem dadurch, dass man sich von den anderen differenziert. Die Selbstentfremdung kann letzten Endes dazu führen, dass das Individuum den Unterschied von Schein und Sein gar nicht mehr wahrnimmt. Den Höhepunkt der Selbstentfremdung aber bildet nicht die Tatsache, dass man das, was man eigentlich ist, verschleiern muss, sondern auch das Eigeninteresse, das ein Produkt des gesellschaftlichen Vergleiches ist, muss zudem verheimlicht werden. Dieses Sonderinteresse kollidiert ja, wie bereits erwähnt, mit den Interessen der anderen, aber eben diese anderen sind für den Menschen, im Hinblick auf die Realsierung seiner Interessen, unentbehrlich geworden. Die soziabel gewordenen Menschen befinden sich somit in einer äußert paradoxen Situation (vgl. Broecken 1974, S. 85). Diese Abhängigkeit von den Mitmenschen veranlasst den einzelnen dazu, die ‘Maske des Wohlwollens’ (Rousseau 1984, 1755, S. 209) aufzusetzen, um dem Eigeninteresse den Schein des kollektiven Interesses zu vermitteln. Mit seiner Analyse über den menschlichen Selbstverlust hat Rousseau bewiesen, dass der Mensch nicht lediglich mit seinesgleichen in einen Widerstreit gerät, sondern, dass er sich auch in einem ständigen Widerspruch mit sich selbst befindet, weil Inneres und Äußeres, Denken und Handeln sich nicht entsprechen (vgl. Broecken 1974, S. 85-86).
Catalina Kirsch, B.A., wurde 1988 in Luxemburg geboren und absolvierte ihr Abitur im Bereich moderne Sprachen im Gymnasium in Echternach. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Trier schloss die Autorin im Jahre 2012 erfolgreich ab. Bereits vor dem Studium, interessierte sie sich stark für die Gebiete der Soziologie und Philosophie. Die Faszination für französische Literatur, Geschichte und Kulturreflexion motivierte sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.
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