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- Macht Herrschaft Gewalt? Eine vergleichende Analyse des Herrschaftsbegriffs bei Max Weber und Hannah Arendt
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 32
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In dieser Arbeit werden der Typus charismatischer und totalitärer Herrschaft gegenübergestellt. Beide Modelle wurzeln in der Zeit der gesellschaftlich-politischen Umbrüche der Moderne, wobei bei Max Weber Religion und Glaube noch eine Rolle spielen, wohingegen bei Hannah Arendt das Fehlen sinnstiftender Kategorien, verlässlicher Strukturen und verbindlicher Werte die Grundlage bildet für eine alle Lebensbereiche durchdringende Herrschaft des Terrors. Revolutionen und Umbrüche sind somit ein zentraler Gegenstand der vorliegenden Analyse. Die Veränderungen politischer Systeme in den arabischen Staaten rücken die Frage nach Grundlagen legitimer Herrschaft erneut in den Fokus. Ein Beitrag dieser Arbeit zur Diskussion dieser Frage liegt einerseits in einer begrifflichen Abgrenzung der Kategorien Macht Herrschaft und Gewalt. Des Weiteren werden politiktheoretische Perspektiven auf das zwischen diesen Kategorien bestehende Spannungsfeld aufgezeigt.
Textprobe: Kapitel 2, Grundlagen der Herrschaftsphilosophiebei Max Weber und Hannah Arendt: 2.1, Glaube und Hingabe versus Totalität: Max Weber definiert Macht und Herrschaft folgendermaßen: ‘Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht. […] Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angegebenen Personen Gehorsam zu finden’. Den Begriff ‘Macht’ hält Max Weber für ‘soziologisch amorph’, da jeder Mensch in jeder denkbaren Situation unter bestimmten Voraussetzungen Macht ausüben kann. Er schlägt vor, Macht präziser als ‘für einen Befehl Fügsamkeit finden’ zu definieren. Noch deutlicher formuliert Hannah Arendt eine Abhängigkeitsbeziehung der Mitglieder einer Gruppe als Voraussetzung für Macht, wenn sie Macht als ‘menschliche[…] Fähigkeit, […] sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen zu handeln’ definiert. Über Macht kann somit niemals ein Einzelner für sich allein verfügen, sondern lediglich eine Gruppe. Selbst wenn einer Einzelperson Macht zugeschrieben ist, ist damit die Tatsache gemeint, dass diese Person von einer Gruppe ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln. Max Weber nennt drei ‘reine Typen legitimer Herrschaft’: 1. die rationale beziehungsweise legale Herrschaft, die auf dem Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen beruht, 2. die traditionale Herrschaft, deren Grundlage der Alltagsglaube an die Heiligkeit von jeher geltenden Traditionen gilt und 3. die charismatische Herrschaft, die auf der außeralltäglichen ‘Hingabe an die Heiligkeit oder Heldenkraft’ oder allgemein auf der Vorbildlichkeit einer Person basiert. Als konkrete Formen rationaler beziehungsweise legaler Herrschaft nennt Weber: mit Verwaltung verbundene Herrschaft, Herrschaft durch ökonomische Differenzierung, Herrschaft durch Parteien. Formen traditionaler Herrschaft sind Herrschaft der Honoratioren und Ältestenherrschaft. Unter charismatischer Herrschaft ist die Herrschaft durch einen Führer zu verstehen. Als weitere Form der Herrschaft, die sich keiner der drei Gruppen eindeutig zuordnen lässt, benennt Max Weber die Herrschaft durch Geheimhaltung. Stellt man diesem soziologisch orientierten Herrschafts-Verständnis das Herrschafts-Verständnis Hannah Arendts gegenüber, so sind zunächst deren grundlegend andere Prämissen festzustellen. Herrschaft bedeutet bei ihr totale bzw. totalitäre Herrschaft. Eine präzise Definition des Begriffes gibt Hannah Arendt nicht. Folgender Satz benennt zumindest wesentliche Merkmale: ‘Vergleicht man den totalen Herrschaftsapparat mit einem der vielen uns aus der Geschichte bekannten Staatsapparate, so kann man ihn nur als strukturlos bezeichnen. Dabei vergisst man, dass nur ein Gebäude eine Struktur haben kann, dass aber eine Bewegung, nimmt man dies Wort so buchstäblich ernst, wie die Nazis es genommen haben, nur eine Richtung haben kann und dass jegliche gesetzliche oder staatliche Struktur für eine immer schneller werdende Bewegung nur ein Hindernis ist.’ Hannah Arendts Interesse konzentriert sich auf die Formen totaler Herrschaft des Nationalsozialismus und Stalinismus. Hannah Arendt geht bei ihrer Erklärung der Ursprünge totaler Herrschaft von der Situation einer erfolgreichen Revolution aus, deren Dynamik nach Erreichung der Revolutionsziele nachlässt. ‘In Stalins wie in Hitlers Falle […] lagen die Dinge an sich außerordentlich ähnlich: In beiden Fällen war die Existenz der Bewegung durch eine offenbare Normalisierung der Verhältnisse ernstlich in Gefahr die Revolution war an ihr Ende gekommen, und die Bevölkerung wünschte sich nichts sehnlicher als die Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse.’ Stabilisierung durch totale Herrschaft bedeutet jedoch die künstliche Etablierung eines Zustands der permanenten Unstabilität, einer ‘permanenten Revolution’. Paradoxerweise ist das Ziel dieses Zustands, das zu verhindern, was der Machthaber versprochen hat. Verwaltungstechnische und ökonomische Faktoren spielen dabei nicht nur keine Rolle, sondern wären sogar – bei Entwicklung eigener Strukturen – kontraproduktiv. Eine Besonderheit des Führerprinzips, das einen wesentlichen Bestandteil von totaler Herrschaft darstellt, besteht darin, dass keinerlei Hierarchie existiert. Herrschaft ist im engen Wortsinn total. Das heißt, sie erstreckt sich über alle Bereiche des Lebens, ohne bestimmten Gesetzen und Regeln zu folgen. Damit verbunden ist das Fehlen von Autorität. Während Autorität zum Zweck der Beschränkung von Freiheit eingesetzt wird, zielt das Führerprinzip auf die Eliminierung der Freiheit ab. Hierin liegt ein Widerspruch zu der von Max Weber als ein Element der Herrschaft benannten ökonomischen Differenzierung. Diese setzt unverzichtbar Freiheit voraus. Auch eine Beteiligung anderer an der durch einen Führer ausgeübten Herrschaft, die Max Weber im Zusammenhang mit der Herrschaft durch Parteien thematisiert, kommt in Hannah Arendts Ansatz nicht vor. Zwar brauchte Hitler die Unterstützung der Anhänger der von ihm geführten ‘Bewegung’ um an die Macht zu gelangen. Einmal dort angekommen, hat er jedoch jegliche Beteiligung anderer an der Macht abgelehnt. Anders als Stalin, der Cliquenbildung durch physische Liquidierungen unterband, hat Hitler die Machtverhältnisse immer wieder verschoben. Auf diese Weise hat er nicht nur Cliquenbildung verhindert, sondern zugleich die Etablierung fester Strukturen und damit das Entstehen von ‘Normalität’ unmöglich gemacht. Die Differenzierung ist bei Max Weber auch dasjenige Prinzip, das der Herrschaft durch Honoratioren und jeder anderen Form von Herrschaft zugrunde liegt. Die Gesellschaft wird als differenziertes, arbeitsteiliges Zusammenleben von Menschen verstanden, unter denen es Bevorzugte und Benachteiligte, Menschen mit hohen und Menschen mit niedrigerem Prestige gibt. Totale Herrschaft hingegen kennt all diese Unterschiede nicht. Ebenso wenig unterscheidet sie zwischen Information und Nicht-Information der Beherrschten über Planungen und Handlungen, sondern führt das Prinzip der Geheimhaltung durch eine Medienpolitik propagandistischer Pseudoinformation ad absurdum, während sie zugleich jede Selbstinformation der Beherrschten rigoros unterdrückt. Da der Machthaber nicht gänzlich verhindern kann, dass geheime Informationen aus dem Kreis der Eingeweihten nach draußen dringen, muss die Bedrohung für diejenigen, die diese Information weiter verbreiten, immens sein. Jedermann muss sich darüber klar sein, ‘dass es nichts Gefährlicheres und nichts Verboteneres gibt, als über diese offenen Geheimnisse zu sprechen oder sich gar nach ihnen zu erkundigen’. Diese Situation erschwert es den Beherrschten, zwischen der Information über Tatsachen und Geschichten und Gerüchten zu unterscheiden, ‘da Menschen für Wissen wie Erfahrungen der Mitmenschen bedürfen, die das Gewusste und Erfahrene mitverstehen und bestätigen können’ . Max Weber begründet seine Theorie der Herrschaft durch Verwaltung mit der Gleichheit aller in einer Gesellschaft lebenden Menschen hinsichtlich ihres sozialen Status. Diese Prämisse ist bei totaler Herrschaft undenkbar. ‘Was immer wir von der Hitler- und der Stalin-Diktatur wissen, deutet darauf hin, dass die Isolierung und Atomisierung, welche der totalen Herrschaft ihre Massenbasis verschaffen, sich bis in die Spitze der Führung fortsetzen, und dass der Führer auch im intimsten Kreise niemals als ein Primus inter pares auftritt.’