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- Literarische Übersetzungen – ein Wortfechten? Ein Vergleich der deutschen Übersetzungen von C. Aitmatows Roman "Placha" mit Fokus auf Kulturspezifika
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Eine literarische Übersetzung ist immer ein kultureller Equilibrismus, der den Übersetzer unter anderem an die Problematik des Kontextes stoßen lässt. Der kulturspezifische Aspekt bildet auch den Schwerpunkt dieser Studie – dass der betrachtete Roman in der sowjetischen Zeit verfasst wurde, lässt diesen umso stärker hervortreten. Der Vergleich zweier, nahezu im gleichen Jahr (eine Seltenheit bei literarischen Übersetzungen!) erschienenen deutschen Übersetzungen von C. Aitmatows (1928-2008) Roman Placha gibt Antworten auf die Frage, wie zwei Übersetzer die Schwierigkeiten der Kulturspezifik zu überwinden wussten, was zum Verständnis beiträgt, wo die Grenzen und Möglichkeiten einer literarischen Übersetzung liegen.
Textprobe: Kapitel 2.2.d, Probleme des kulturellen Kontextes: Vor weiteren Ausführungen scheint die Klärung des Begriffs Kultur wie er vom Autor dieser Arbeit verstanden und in dieser Arbeit verwendet wird notwendig. Hierzu wird eine Definition von Lévi-Strauss verwendet, die alle für dieses Kapitel wichtige Punkte enthält (1967: 80): Wir nennen Kultur jede ethnographische Gesamtheit, die, vom Standpunkt der Untersuchung aus gegenüber anderen bezeichnende Abweichungen aufweist. Wenn man bezeichnende Abweichungen zwischen Nordamerika und Europa zu bestimmen sucht, wird man sie als verschiedene Kulturen behandeln, angenommen aber, das Interesse richte sich auf bezeichnende Abweichungen zwischen, sagen wir, Paris und Marseille, dann können die beiden Stadteinheiten vorübergehend auch wie zwei kulturelle Einheiten behandelt werden. Ein und dieselbe Menge von Individuen steht, vorausgesetzt, dass sie in Zeit und Raum objektiv gegeben ist, gleichzeitig in mehreren Kultursystemen: in einem universellen, einem kontinentalen, einem nationalen, einem provinziellen und lokalen, schließlich in einem familiären, konfessionellen, politischen und so fort. Dieses Zitat ist gerade in seiner gesamten Länge wichtig, da es vollständig darzulegen hilft welche Problemfelder sich für die Übertragung des kulturellen Kontextes von Placha für die Übersetzer ergeben haben mussten. Die Handlung des Romans spielt in den Steppen Kasachstans, in Kirgisien und Russland – das sind nach Lévi-Strauss' Verständnis jede für sich unterschiedliche Kulturen, die Unterschiedliches implizieren. Eine weitere kulturelle Einheit bildet die Sowjetunion als einheitliches Gebilde, das in seiner Gesamtheit auf die oben erwähnten kulturellen Einheiten einwirkt. Weiterhin gehören die Protagonisten des Romans verschiedenen Kulturen an, der Ex-Seminarist Avdij der russischen, der Hirte Boston der kirgisischen. Auf der einen Seite gibt es eine Menge Interferenzen: So ist Leningrad zum Zeitpunkt der Romanverfassung ein Bestandteil der Sowjetunion, auf der anderen Seite bringt jede dieser kulturellen Einheiten Eigenheiten mit sich, die Aitmatov zu übertragen versucht. Da das Übersetzen im gesamtkulturellen Kontext stets eine Form des metakommunikativen Handelns darstellt, erzeugt diese Mehrschichtigkeit der kulturellen Ebenen einen Informationsstrom, der in komplexer Form Informationen über das Original liefert (vgl. Popovic, zit. Nach Wilss 1981: 86). Daraus ergeben sich verschiedene Bedeutungsebenen, die im besten Fall alle dem Leser der Übersetzung (in)direkt überliefert werden sollen. Dass dies nicht immer gelingen kann und manchmal bedeutet, dass bei der Übersetzung Änderungen erfolgen müssen zeigt das folgende Beispiel von Holz-Mänttäri: Das Werk des kolumbianischen Nobelpreisträgers García Márquez wurde ins Deutsche übersetzt. García Márquez schrieb sozialkritische Romane über die Zustände seiner Heimat und wollte damit gewiss seinen Landsleuten einen Spiegel vorhalten und auf Missstände in seinem Land aufmerksam machen. Doch die Übersetzung könnte, so Holz-Mänttäri, diese Funktion nicht mehr erfüllen, denn eine deutsche Fassung wird in erster Linie für die Deutschen in Europa hergestellt. Ihnen kann man aber nicht sagen: Seht wie die Lage in Kolumbien ist und bessert sie! Denn die ursprüngliche Botschaft von Márquez liegt ja genau darin: Schaut wie es in eurer Heimat aussieht, was für einen deutschen Leser Unsinn wäre. So kann man den Deutschen vielleicht fragen: Wenn die Lage in Kolumbien so ist, inwiefern seid ihr davon betroffen? Die Sozialkritik bekommt in der Übersetzung eine ganz andere Funktion. Der zweite Umstand, der zu gewissen Änderungen verleitet ist die Tatsache, dass Kolumbien für Europäer im Normalfall nicht gut bekannt, sondern exotisch und unbekannt ist (vgl. 1984: 76-79). Projiziert man dieses Beispiel auf Placha und die deutschen Übersetzungen, so kommt man zu teils ähnlichen Schlüssen. Die Unähnlichkeit zum oben genannten Beispiel bestehen darin, dass Aitmatovs Leitmotiv in diesem Roman die Menschlichkeit, die Frage Wie bleibt ein Mensch ein Mensch ist, die auf jeden Menschen bezogen werden kann, die von Márquez angesprochene Problematik aber spezifisch für sein Land ist. Dem steht jedoch gegenüber, dass in Placha in nicht allzu subtiler Form Kritik am Sozialismus geübt wird, brennende Probleme der Sowjetunion zur Entstehungszeit des Romans thematisiert werden. Das deckt sich mit dem Beispiel von Márquez' Romanen. Die Sowjetunion dürfte den deutschen Lesern natürlich besser bekannt sein als Kolumbien, vor allem, weil eine der untersuchten Übersetzungen zum ersten Mal in der DDR erschienen ist, jedoch dürften viele Bereiche des sowjetischen Lebens, Realien und soziale Umstände trotzdem unbekannt sein. All dies muss bei der Übersetzung berücksichtigt werden. Das Verständnis ist nicht nur von Interferenzen der kulturellen Ebenen abhängig, sondern auch vom situativen Kontext. Wenn z.B. in Tolstojs Kreutzersonate der Advokat den Reisenden darauf aufmerksam macht, dass er nicht aus dem Zug steigen solle, da es bald zum zweiten Mal läuten werde, versteht der deutsche Leser die Aussage wahrscheinlich nicht, da er üblicherweise nicht weiß, dass auf den russischen Bahnhöfen vor Abfahrt des Zuges dreimal geläutet wird.1 Ein weiterer Punkt ist, dass der Bezug zum kulturellen Kontext aus der Perspektive des Schriftstellers und des Lesers betrachtet werden kann. Bei dem Schriftsteller beeinflusst die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur seine Wahrnehmung, demnach auch seine Wiedergabe von kulturellen Gegebenheiten. Das führt dazu, dass die Wahrnehmung von Gegebenheiten je nach Kultur unterschiedlich sein kann. Pulatov, der wie Aitmatov ein usbekischer Schriftsteller war, untersuchte den Unterschied in der usbekischen und russischen Wahrnehmung am Beispiel des Substantivs Sonne: ?????? auf Russisch ist etwas ganz anderes was kü?s auf Usbekisch ist. Denn der Usbeke, der fast das ganze Jahr unter den erdrückenden Sonnenstrahlen lebt, würde kaum die diminutive Koseform ???????? benutzen, genauso wie der Russe kein Gefühl dafür haben würde, dass die Sonne nicht nur fruchtbarkeitsstiftend und erderneuernd, sondern auch feindlich sein kann. Genauso impliziert das Konzept ?????? für einen Russen auch in den Kampf ziehen und Blut vergießen (vgl. 1987: 314). Hier lässt sich eine Brücke zum deutschen Leser schlagen, denn auch für den Deutschen impliziert dieser Begriff solche Assoziationen nicht. Bei dem Leser weckt der übersetzte Text gewisse Assoziationen. Der Übersetzer sollte bei seiner Arbeit von diesem Wissen Gebrauch machen. Fillmores scenes-and-frame-Theorie modelliert wie ein solcher Prozess, in Etappen zerlegt, aussehen könnte (vgl. 1977: 55-81). Bei der scenes-and-frame-Theorie geht der Übersetzer von einem vorgegebenen frame aus, nämlich dem Text als Ganzem. Dieser Text wurde von einem Autor erstellt, der von seinem eigenen Erfahrungshintergrund ausging. Das Gesamt-frame des Textes löst gewisse Assoziationen bei dem Leser aus. Aus diesem frame bezieht der Übersetzer die Grundlage für seine Arbeit, muss sie aber bis zu einem gewissen Grad durch die für seine Kultur prototypischen scenes ergänzen, die voraussichtlich im Erfahrungsschatz des Lesers der Übersetzung enthalten sind. Der Übersetzer greift also auf das prototypische Vorwissen des virtuellen Lesers zurück. Eine ergänzende Sichtweise auf dieses Problemfeld gibt Buzadže, der auf eine kulturell-assoziative Bedeutung hinweist (?????????-????????????? ???????? = ???), also darauf, dass bestimmte Wendungen bei einem durchschnittlichen Leser eine bestimmte Assoziation wecken. Als Beispiel führt er den Phraseologismus ??? ???????? an, die bei einem russischen Leser eine Assoziation mit dem Roman 12 ??????? hervorruft und deren Eingliederung in den Text diesem einen komisch-ironischen Unterton verleiht. Ein weiteres Beispiel ist die Inschrift über dem Eingang des französischen Pantheon, die lautet: Aux grandes hommes, la patrie recoinassante, auf Deutsch: Den großen Männern, das dankbare Vaterland, was ins Russische häufig als ??????? ????? — ??????????? ??????? übersetzt wird. Im Großen und Ganzen ist das richtig – jedoch geht dabei ein Aspekt verloren: Im Pantheon wurden bis auf die Ausnahmen Marie Curie und der Frau eines Offiziers keine Frauen bestattet. Demzufolge müsste die Übersetzung der Inschrift lauten: ??????? ????? ?? ???????????? ?????????, damit auch diese Nuance richtig übertragen wird. Lev? bemerkt hierzu, dass ein guter Übersetzer darum bemüht sein sollte, die örtlich und zeitlich gefärbten Elemente eines Werks , nicht nur deren Bedeutung, sondern auch deren Kolorit-Wert zu bewahren (vgl. Lev? 1969: 92). Überdies muss der Übersetzer beachten, dass es sich bei diesem Kolorit-Wert um eine Größe handelt, die in verschiedenem Maße alle Elemente des literarischen Werks durchdringt. Daher empfiehlt Lev? diejenigen Elemente zu erhalten, die sich mit den Mitteln der eigenen Sprache nicht ausdrücken lassen können. Gleichzeitig aber sollen alle Elemente mit Kolorit-Wert, die semantisch nicht notwendig sind, sondern höchstens zum Interesse des Lesers hinzugefügt werden nicht bewahrt werden (vgl. Levy 1969: 87-94). Bringt man das in diesem Kapitel zur Sprache gebrachte auf den Punkt so lässt sich festhalten, dass der kulturelle Kontext essentiell für das Textverständnis und somit die Anfertigung einer adäquaten Übersetzung ist. Dieser Aspekt wird für den Übersetzungsvergleich von großem Belang sein.
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