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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In der vorliegenden Arbeit werden am Beispiel von Arthur Schnitzlers Reigen einige in der Literatur um 1900 populäre Weiblichkeitskonstruktionen analysiert. Die Arbeit baut auf Judith Butlers Theorie der performativen Konstruktion des Geschlechts auf. Laut Butler konstruiert sich die Identität über die Diskurse mit Hilfe der sprachlichen Zuweisungen und unter dem Einfluss bestimmter Macht- und Ausschlussmechanismen, wodurch die Individuen die ihnen zugewiesenen Rollen annehmen oder zurückweisen. Da sich die Figuren und demzufolge ihr Geschlecht in den Dramen durch sprachliche Äußerungen, durch die Diskurse, konstruieren und diese Figuren nur in der Sprache bestehen, lässt sich Butlers Begriff der Performativität auf die literarischen Diskurse in den Dramen übertragen, denn mittels dieser werden ebenfalls Handlungen ausgeführt und Geschlechtsidentitäten kulturell konstruiert. Der um 1900 herrschende sexualanthropologische Diskurs wird in der Arbeit aufgegriffen, um die kulturgeschichtlichen Aspekte bei der Konstruktion der Weiblichkeit hervorzuheben. Auf die Sprache des Liebesdiskurses und die Funktion der Kleidercodes wird ebenfalls ausführlich eingegangen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Der Einakterzyklus Reigen: 4.1, Sexualanthropologie der Jahrhundertwende am Beispiel Richard von Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis: Der medizinisch-naturwissenschaftliche Diskurs der Jahrhundertwende hatte großen Einfluss auf die gesamte Kultur der Zeit ausgeübt. Die darwinistische Evolutions-theorie spielte eine wichtige Rolle dabei. ‘Das evolutionstheoretische Paradigma der Fortpflanzung’ hat bei der Normierung im Bereich der Sexualwissenschaft eine große Rolle gespielt. Die Fortpflanzung wurde dem Verständnis der ?gesunden' Sexualität zugrunde gelegt. In dieser Hinsicht ist Richard von Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis (1886) in der Sexualwissenschaft von großer Bedeutung. Dadurch, dass Krafft-Ebing das ?Abweichende' festlegt, trägt er erheblich zur Konstruktion ?normaler Geschlechter' bei. Die Sexualwissenschaft entsteht im späten 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert wird sie zu einem großen interdisziplinären Forschungsbereich. Mediziner und vor allem Psychiater setzen sich die Untersuchung des sexuellen Verlangens zum Ziel. Die traditionelle bürgerliche Sexualmoral wird um die Jahrhundertwende von den Psychiatern und den Medizinern durch den Sexualdiskurs unterstützt und weitergeführt. Die für die viktorianische Gesellschaft typische Sexualmoral existiert um die Jahrhundertwende neben der modernen antibürgerlichen Sexualmoral und Eheverständnis. Die Psychopathia Sexualis untersucht die Fallbeispiele, auf deren Grundlage der Autor auf die allgemeine Neuro- und Psychopathologie des Sexuallebens eingeht, wie auch auf die speziellen pathologischen Fälle. Krafft-Ebing forscht in zwei Richtungen. Einerseits wird die Sexualität als geheimnisvolle Kraft im Menschen erklärt, deren Wirken dem Bereich des Unbewussten angeordnet wird. Dass der Mensch sich diesen Kräften bewusst wird, hat große Bedeutung, da die sexuellen Impulse das Sozialverhalten oder die künstlerische Produktion beeinflussen. Die zweite Richtung von Krafft-Ebings Sexualwissenschaft untersucht die Ab-weichungen der Heterosexualität. Laut Urte Helduser, kommt hier der Normali-sierungsdiskurs zum Ausdruck: Wenn um 1900 übereinstimmend im medizinischen wie im literarischen Diskurs ‚Mannweiber‘ und ‚feminisierte Männer‘ zum Thema werden, dann artikuliert sich hier gleichermaßen der Normalisierungsdiskurs, der auf der Suche nach dem ‘normalen’ Geschlecht ist. Krafft-Ebing untersucht außerdem die sexuellen Verhaltensweisen, denen man in den alten Gesellschaften keine große Aufmerksamkeit geschenkt hat, wie zum Beispiel Fetischismus und so weiter. Für die Konstruktion der Weiblichkeitsvorstellungen ist Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis deswegen von Bedeutung, da es normbildenden Charakter um die Jahrhundertwende gehabt hat. Als hegemonialer medizinischer Diskurs, der mit Macht ausgestattet ist, trägt die Sexualanthropologie im Sinne von Judith Butler bei der Bildung der Identitäten und dementsprechend der Geschlechtervorstellungen bei. Der Schilderung der Sexualpathologie geht im Werk des Mediziners eine Darstellung des normalen Liebeslebens voraus. Dabei wird eine Norm als Maßstab eingeführt. Laut Horst Thomé stützt sich Schnitzlers Ehemann in seinem Monolog im Reigen auf diese Thesen der Psychologie des Sexuallebens. Den sexuellen Trieb versteht Krafft-Ebing als stärksten aller Triebe. Krafft-Ebing psychologisiert den Sexus, da er ihn als Ursache für die Bildung der erhabenen menschlichen Empfindungen wie ästhetischen und religiösen Gefühlen definiert: In der grobsinnlichen Liebe, in dem wollüstigen Drang, den Naturtrieb zu befriedigen, steht der Mensch auf gleicher Stufe mit dem Tier, aber es ist ihm gegeben, sich auf eine Höhe zu erheben, […] die, unbeschadet ihrer sinnlichen Entstehungsquelle, eine Welt des Schönen, Erhabenen, Sittlichen verschließen. […] So wurzelt […] vielleicht auch ein guter Teil Ästhetik und Religion in dem Vorhandensein geschlechtlicher Empfindungen. Laut Krafft-Ebing ist eine nur auf die sexuelle Lust gerichtete Liebe nicht dauerhaft. Der Sexualdiskurs von Psychopathia Sexualis beruht auf der These, dass der Mensch die sexuellen Empfindungen sublimieren kann. Die Sublimierung bedeutet die Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse des Menschen, bis er diese in der Ehe befriedigt. Die Forderung nach der Sublimierung der Sexualität und die damit verbundene Unterdrückung der sexuellen Triebe hat zum Ziel, die Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft zu gewährleisten, und das ist eine zentrale Aufgabe der bürgerlichen Sexualmoral. Laut Krafft-Ebing ist die bürgerliche Ehe der evolutionäre Höhepunkt der Natur. Andere Kulturen, die andersartige Formen des Sexuallebens haben, betrachtet er als zurückgeblieben und seine Überlegungen versucht er durch Darwins Evolutions-theorie zu begründen. Zur Einsicht, dass die Sexualität historisch formbar ist, kommt Krafft-Ebing nicht. Im weiteren Verlauf des Werkes wird auch die Untreue zum Diskurs gebracht. Die Untreue wird verboten und laut Krafft-Ebing stellt die Unkeuschheit der Frau moralisch und medizinisch einen schlimmeren Fall dar, da sie damit massiver aus der Bahn ihrer Natur fällt als der Mann: Unendlich schwerer fällt moralisch ins Gewicht und viel schwerer sollte gesetzlich wiegen der Ehebruch des Weibes gegenüber dem vom Manne begangen. Die Ehebrecherin entehrt nicht nur sich, sondern auch den Mann und die Familie […]. Krafft-Ebing behauptet, dass alle solche Frauen jung sterben, was er durch die medizinische Wissenschaft bestätigt sieht, da die neuropathischen Störungen die Lebenserwartung reduzieren. Indem Krafft-Ebing die heterosexuelle Verbindung als Norm erhebt, erklärt er die Abweichungen von diesem Sexualverhalten als Störung der Natur. Laut Krafft-Ebing sind diese Abweichungen im Triebziel, wie auch die übertriebenen sinnlichen Bedürfnisse Ausdruck einer Neuropathie oder krankhaften Entartung. Diese Phäno-mene werden bei ihm den Unterschichten, Großstädtern oder den Aristokraten zugeordnet. Krafft-Ebing gesteht den Männern ein lebhafteres geschlechtliches Leben zu: Ohne Zweifel hat der Mann ein lebhafteres geschlechtliches Bedürfnis als das Weib. Folge leistend einem mächtigen Naturtrieb, begehrt er von einem gewissen Alter an ein Weib. Er liebt sinnlich, wird in seiner Wahl bestimmt durch körperliche Vorzüge. Dagegen ist das sinnliche Verlangen bei der Frau laut Krafft-Ebing nicht so stark ausgeprägt: Anders das Weib. Ist es geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, so müßte die ganze Welt ein Bordell, und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuß nachgeht, abnorme Erscheinungen. Krafft-Ebing behauptet, dass sich das universale Liebesbedürfnis der Frau nicht so sehr auf den Geschlechtsakt richtet, sondern auf die seelische Verbundenheit und nach der Geburt der Kinder geht der Sexualtrieb endgültig in den Mutterinstinkt über: ‘Vor der Mutterliebe schwindet die Sinnlichkeit.’. Laut Krafft-Ebing liebt die Frau in erster Linie in ihrem Ehepartner den Vater ihrer Kinder und dann den Mann, während bei den Männern das Gegenteil der Fall ist: Während der Mann zunächst das Weib und in zweiter Linie die Mutter seiner Kinder liebt, findet sich im Bewußtsein der Frau im Vordergrund der Vater ihres Kindes und dann erst der Mann als Gatte. Das Weib wird in der Wahl ihres Lebensgefährten viel mehr durch geistige als durch körperliche Vorzüge bestimmt.

Über den Autor

Irma Mardaleishvili, M.A., wurde 1980 in Georgien geboren. Ihr Bachelorstudium der Deutschen Philologie an der Shota Rustaveli Staatlichen Universität in Batumi schloss sie im Jahre 2001 mit der Qualifikation der Lehrerin der deutschen Sprache und Literatur erfolgreich ab. Ihr Germanistikstudium an der TU Darmstadt mit Schwerpunkt Neuere Deutsche Literaturwissenschaft absolvierte sie 2012 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium. Seit Oktober 2012 promoviert die Autorin an der TU Darmstadt.

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