- Sie befinden sich:
- Specials
- »
- Bachelor + Master Publishing
- »
- Geisteswissenschaften
- »
- Indexikalität und Fregescher Sinn: Eine Untersuchung zu den referentiellen Eigenschaften des Personalpronomen "ich"
Geisteswissenschaften
» Blick ins Buch
» weitere Bücher zum Thema
» Buch empfehlen
» Buch bewerten Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Gottlob Frege, deutscher Mathematiker, Logiker und Philosoph (1848-1925) gilt, neben Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein, als einer der großen Vordenker der analytischen Philosophie. Freges größte Leistung liegt in der Erfindung der modernen Logik, die er unvermittelt und weitestgehend ohne historische Vorbilder 1879 in einem Buch mit dem Titel ‘Begriffsschrift’ dargeboten hat. In dem 1918 erschienenen Aufsatz Der Gedanke - eine logische Untersuchung, der gleichzeitig den Ausgangs- und Bezugspunkt dieses Buches bildet, widmet sich Frege ausdrücklich diesem Kernstück seiner Philosophie. Seine Abhandlung entfaltet noch bis heute eine Wirkung, die sich in allgemeinen und sehr modernen Rekonstruktionen, sowie auch in vielschichtigen konträren Positionen niederschlägt. Im ersten Teil der vorliegenden Studie wird das semantische Verständnis der Fregeschen Theorie des Gedankens, im Besonderen die Verwendung des Indexwortes ‘ich’ erläutert und dargelegt. Im zweiten Teil wird es darum gehen, die Konzeptionen zweier Sprachphilosophen des späteren 20. Jahrhunderts, die sich ebenfalls intensiv mit den Theorien der Indexikalität beschäftigten, dem Fregeschen Ansatz gegenüberzustellen.
Textprobe: Kapitel 4.1, Perrys Logik der reinen Indexwörter: 4.1.1, Auseinandersetzung mit Freges Prinzipien: Gegen Freges Beschreibungstheorie für indexikalische Ausdrücke erheben sich eine Reihe von Einwänden, die zuerst John Perry in Anlehnung an Hector-Neri Castañeda in Frege on Demonstratives herausgearbeitet hat. In dieser Auseinandersetzung greift Perry u.a. auf Freges Grundtexte Über Sinn und Bedeutung und Der Gedanke zurück. Er versucht zu zeigen, dass Freges Theorie mit der Analyse von Indexwörtern Probleme hat. In diesem Kapitel werde ich einleitend Perrys grundsätzliche Kritik an Freges Lehre skizzieren. In diesem Rahmen diskutiert Perry folgendes Beispiel: (1) ‘Russia and Canada quarrelled today.’ Bei dieser Illustration stellt sich die Frage, was der Sinn von ‘today” ist. Augenscheinlich muss ‘today’ in (1) einen Sinn beitragen, der dafür sorgt, dass der (1) entsprechende Gedanke einen Wahrheitswert besitzt. Nun besteht die Möglichkeit, dass (1) genau dann wahr ist, wenn er am 1. August geäußert wird, und nicht wahr ist, wenn er am 2. August ausgesprochen wird. Weil nun, zum einen der Sinn eines Satzes die Wahrheitsbedingung bestimmt, und andererseits ein Gedanke wahr oder falsch ist, und sich der Wahrheitswert nicht bei der einen oder anderen Gelegenheit ändert, und zum dritten zwei Gedanken sich bei Frege dann unterscheiden, wenn der eine wahr und der andere falsch ist, so müsste sich der Sinn von ‘today’ um Mitternacht ja plötzlich ändern, was aber nicht anzunehmen ist. Dazu Perry: ‘So, if, ‘today’ provides a completing sense on both days, its sense must change just at midnight. But what we know when we understand how to use ‘today” doesn´t seem to change form day to day.” Für Perrys Argument ist sowohl die wahrheitskonditionale Rolle als auch die kognitive Rolle von Indexwörtern relevant, denn auf der einen Seite lebt es davon, dass sich der Sinn des Indikators ändert, wenn der Gesamtsatz seinen Wahrheitswert ändert, und auf der anderen Seite meint Perry, dass sich unser Wissen dabei nicht ändern dürfte. Wird der Blick auf die wahrheitskonditionale Rolle gelenkt, so zeigt sich, dass der Referent mehrerer Vorkommisse eines Indexwortes desselben Typs sich mit dem Kontext ändert, und sich dann auch die Wahrheitsbedingungen der jeweiligen konkreten sprachlichen Äußerungen ändern. In diesem Rahmen führt Perry einen neuen Begriff ein, der den ergänzungsbedürftigen Sinn indexikalischer Ausdrücke erfasst. Um den Ausdruck ‘today’ zu verstehen, genügt es zu wissen, dass er den Tag benennt, an dem er geäußert wurde: ‘Dies scheint die Bedeutung von ‘heute’ [today] zu sein, und diese Bedeutung bleibt konstant, sie verändert sich nicht von Tag zu Tag. Wir verstehen (1) sogar, wenn wir gar nicht genau wissen, an welchem Tag er geäußert wurde.’ Perry nennt diese Regel die ‘Rolle (role)’ eines indexikalischen Ausdrucks. Diese entspricht dem Verfahren, das es bei jeder Verwendung des Indikators ermöglicht, den bezeichneten Gegenstand zu identifizieren. Den jeweils bezeichneten Gegenstand, auf den die Rolle den Leser lenkt, nennt Perry den ‘Wert’ des Indexwortes in einem konkreten Kontext, wobei ein ‘Kontext’ die Menge von Eigenschaften einer Äußerung darlegt, die mindestens Zeit, Ort und Sprecher enthalten. Perry stellt weiter fest, dass bei einer bestimmten Verwendung des Satzes (1) eine ‘Information’ mitgeteilt wird, die sich aus dem Tag, an dem (1) geäußert wird, und dem Sinn des Prädikats zusammensetzt. Wie aber tritt nun Frege dem Gesagten gegenüber? Den Kontext selbst oder die Referenten kann Frege nicht als Bestandteil von Gedanken betrachten, denn der Gedanke gehört weder als Vorstellung der Innenwelt eines Bewusstseins, noch auch der Außenwelt, der Welt der sinnlich wahrnehmbaren Dinge an. Gegenstände oder Kontexte, die Gegenstände wie den Sprecher oder den Tag der Äußerung implizieren, gehören einem anderen Seinsbereich an als Sinne, und können aus diesem Grunde nicht als Teile von Gedanken auftreten, die einen unvollständigen Sinn zu einem Wahrheitsträger machen. Wie bereits erörtert, muss Frege davon ausgehen, dass es zu jeder Verwendung von Indexwörtern einen entsprechenden Sinn gibt, der den Sinn des verwendeten Gedanken so ergänzt, dass sich ein vollständiger Gedanke als Träger von Wahrheitswerten ergibt. Dazu Freges, uns bekannte, Interpretation eines solchen Sinns für den Indikator ‘ich’: ‘Wenn er [der Sprecher Dr. Gustav Lauben] nun also sagt: ‘Ich bin verwundet worden’, muß er das ‘ich’ in einem Sinn gebrauchen, der auch anderen faßbar ist, etwas in dem Sinne ‘derjenige, der in diesem Augenblicke zu euch spricht’, wobei er die sein Sprechen begleiteten Umstände dem Gedankenausdrucke dienstbar macht.’ Es bleibt also bei der Erklärung, dass verschiedenen Verwendungen von Indexwörtern unterschiedliche Sinne entsprechen können. Obwohl Frege sicherlich das Problem erkannt hatte, unterscheidet er nicht stringent zwischen einer allgemeinen Bedeutung und dem Verwendungskontext, der erst den Referenten eines indexikalischen Ausdrucks festlegt. Zwar macht sich der Sprecher bei der Verwendung eines Indikators ‘begleitender Umstände’ dienstbar, so Frege im obigen Zitat, die auch dem Hörer beim Fassen des Gedankenausdrucks nützlich sind, aber weil jedoch der Sinn bei Frege die Wahrheitsbedingung festlegt, müssen allen Indexwörtern, die unterschiedliche Referenten aufweisen, auch unterschiedliche Sinnen zugeordnet sein. Perry zeigt in diesem Zusammenhang, dass Frege die Lösung ablehnt, dem indexikalischen Ausdruck, dem ein unvollständiger Sinn entspricht, eine ‘Rolle’ zuzuordnen, und den Ausdruck in der Folge durch den Kontext zu ergänzen. Da Frege die Indikatoren stets in deren Kontextabhängigkeit betrachtet, kommen seine Vorschläge ohne Ergänzungen nicht aus. Somit können weder Rolle noch Information, noch definite Beschreibung den Sinn eines Satzes, der ein Indexwort enthält, so vervollständigen, dass man einen vollständigen Fregeschen Gedanken erhält. Es spricht vieles dafür, dass es keinen ergänzenden Sinn gibt, der der Forderung Freges entspricht. Perrys Argumente zeigen also, dass der Fregesche Sinn eines indexikalischen Ausdrucks nicht mittels einer Kennzeichnung ausgedrückt werden kann.
Karin Ulrich, Diplom-Ingenieurin, Diplom-Wirtschaftsingenieurin und akademische Beraterin für Teams in Organisationen wurde 1965 in Viernheim geboren. Nach ihrem Studium hat sie viele Jahre als Personalentwicklerin und interne Beraterin für Team- und Organisationsentwicklung in einem IT-Systemhaus der deutschen Telekom gearbeitet. Während der Elternzeit ihrer jüngsten Tochter hat die Autorin 2007 das Studium der Philosophie und Soziologie an der Technischen Universität in Darmstadt aufgenommen, welches sie, aller Voraussicht nach, noch in diesem Jahr mit dem Master of Arts ‚Technik und Philosophie‘ abschließen wird. Außerdem ist Karin Ulrich seit 2011 als Dozentin für Kommunikationstechniken und Teamentwicklung an der Hochschule Darmstadt tätig.