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- Gesellschaftliche Gewalt und Geschlechterverhältnis in der Prosa Ingeborg Bachmanns: Die Fremddefinition von Weiblichkeit oder 'Der Zwang und die Unmöglichkeit für Frauen eins zu sein'
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Ingeborg Bachmann setzt sich vor allem in ihrer Prosa mit der Fremddefinition von Frauen als Beispiel für allgemein wirksame gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen auseinander. In einem Bogen von ihrer frühen Lyrik über poetologische Konzepte bis zu ihren zuletzt veröffentlichten Schriften wird sichtbar, welche Bedeutung Ingeborg Bachmann der ‘Geschichte im Ich’ zuspricht, und damit einem historischen Bewusstsein als unbedingte Voraussetzung für die literarische Gestaltung von Wirklichkeit in der Nachkriegsgesellschaft. Denn erst auf dieser Grundlage werden auch utopische Entwürfe denkbar, sowohl in der Literatur als letztendlich auch in der Gesellschaft. Zentrale Quellentexte der Untersuchung sind Ingeborg Bachmanns frühe Gedichte, ihre Poetikvorlesungen, die Erzählungen 'Unter Mördern und Irren', 'Ein Schritt nach Gomorrha', sowie die Texte zum Todesarten-Projekt 'Requiem für Fanny Goldmann', 'Der Fall Franza' und ihr Roman 'Malina'.
Textprobe: Kapitel 3.4.2, Macht der Geschichte: Durch ihre Mitwirkung an Jordans Untersuchung ‘über die Versuche an weiblichen Häftlingen. Über die Spätschäden’ (III, 455) während des Nationalsozialismus erfährt Franza Stärkung und Selbstbestätigung (III, 383). Als Jordan ihre wissenschaftliche Mitarbeit an dieser ‘bedeutsamen Studie’ (II, 383 III, 410f.) verschweigt, zerstört er ihren letzten Halt. Dabei setzt er seine Macht auch hier ‘bewußt und kalkuliert brutal’ ein, denn er erwähnt alle seine Assistenten - mit Ausnahme Franzas: ‘Er wollte mich auslöschen, mein Name sollte verschwinden, damit ich danach wirklich verschwunden sein konnte [...] so war es doch alles gewesen, was ich je sichtbar getan hatte [...]. Das hatte mich gehalten einige Jahre, hatte mich am Leben erhalten, meinen Eifer, meine Überzeugungen.’(III, 410f.). Der Bezug Franzas auf eine Arbeit, mit der sie sich identifizieren kann, bleibt so ohne jegliche Resonanz. Jordan nutzt ihr Interesse zugunsten seiner Karriere aus (II, 384), so wie er auch seinen Vetter, der im KZ interniert war, ausgenutzt zu haben scheint (II, 384, II 377f.) Dieser Vorgang ist nur unter den Bedingungen einer Ehe denkbar. Diese gesellschaftliche Institution sanktioniert das Geschlechterverhältnis als Eigentumsverhältnis, in dem die Frau in den Besitz des Mannes übergeht. Die Konvention, wonach die Ehefrau den Namen des Mannes annimmt, löscht ihren Namen aus und damit sie als öffentliche Person: ‘du lachst mit jemand als wäre der Welt damit ein wunderbarer Streich gespielt worden mit diesem Türzufallen, dem Namenwechsel, du denkst keinen Augenblick, es könnte dir gespielt worden sein [...]. Es ist furchtbar, es ist eine Schande, eine Schandgeschichte, die sich zuzutragen beginnt.’ (III, 408). Die gesellschaftliche Isolation markiert den Rahmen für jegliche Form der Unterdrückung, weil darin jedes Verhalten erlaubt ist. (III, 406) Der Ort, an dem sie Schutz suchte, wird ihr zur Falle. (III, 360) In der Ehe sieht Ingeborg Bachmann ein Strukturmerkmal der patriarchalischen Gesellschaft, mit dem ein grundsätzliches Herrschaftsverhältnis konstituiert wird. Schon in der Erzählung EIN SCHRITT NACH GOMORRHA (II, 87) charakterisiert sie die Ehe als Zustand, ‘der stärker ist als die Individuen, die in ihn eintreten’ (II, 203). Denn darin sind keine Experimente in den Beziehungen möglich, dieser Zustand bedeutet Starre und Unbeweglichkeit für die Beteiligten, ‘weil Ehe eingehen schon heißt, in ihre Form eingehen’ (II, 203). Für die Frauen hat dies spezifische Konsequenzen, denn ihr Lebensraum wird auf das sogenannte Private reduziert und ihr Leben verläuft unbemerkt von der Öffentlichkeit. Hier zeigt sich bereits auf der Alltagsebene, warum Frauen von der offiziellen Geschichtsschreibung ausgeschlossen sind. Ihre einzig gesicherte Tradition besteht in der jahrtausendealten Unterdrückung und Ausgrenzung in patrilinearen Gesellschaftsordnungen. Diese abstrakt historische Tatsache konkretisiert sich in DER FALL FRANZA an den Stätten des Todes, den Friedhöfen und Grabmälern, wo allein die Gewähr weiblicher Existenz abzulesen ist. (III, 372). Erst nach ihrem Tod wird ihre, individuell bleibende, Geschichte sichtbar, denn die offizielle Dokumentation historischer Entwicklungen ist in erster Linie eine der materiellen und politischen Interessen. Sie manifestiert sich an den Namen der Männer,. ‘Namen hinter denen sich der Besitz verbarg und die Monstrosität des Besitzenkönnens und Besitzenwollens.’ (III, 372f.). Für den Versuch, die Existenz der Frauen über den Tod hinaus zu negieren und damit ihre historische Bedeutung zu verschweigen, gibt es auch in früheren Kulturen Spuren und Belege. Am Grabmal der Königin Hatschepsut ist ‘jedes Zeichen und Gesicht getilgt’. (III, 436) Schänder dieses Grabes ist Tuthmosis, Hatschepsuts Nachfolger. Er hat jedoch, wie Franza feststellt ‘vergessen, daß an der Stelle, wo er sie getilgt hat, doch sie stehen geblieben ist. Sie ist abzulesen, weil da nichts ist, wo sie sein soll’ (III, 436). Bedingung dafür aber ist eine öffentliche und damit wahrnehmbare Existenz. Franza repräsentiert ein Geschichtsbewußtsein, das gerade aufgrund ihres Lebens sensibilisiert ist für die ungeschriebenen, ausgegrenzten Teile der Geschichte. Auf Franzas Frage: ‘meine Geschichte und die Geschichte aller, die doch die große Geschichte ausmachen, wo kommen die mit der großen zusammen?’ (III, 433). gibt es in der offiziellen Historie nur die eine Antwort - in ihrem Tod. Und noch an den Stätten des Todes ‘spiegeln sich’ seit der Antike ‘die unterschiedlichen Geschlechterrollen wider.’. In den Entwürfen zu DER FALL FRANZA findet sich eine korrespondierende Szene. In dem Ort Wadi Halfa, der wegen des von Weißen initiierten Baus des Assuan Staudamms überschwemmt werden wird, fühlt sich Franza das erste Mal in einer ‘Gemeinschaft’ und ‘spricht von ‘wir’.’ (III, 480) Sie fühlt sich verbunden mit den Menschen, deren Existenz der Politik und dem Machterhalt unterworfen wird. Doch sollen im ‘Glücksfall’ auch von diesem Ort die Stätten des Todes, bzw. seiner Zelebrierung, ‘die nördlichen Tempel’ (III, 481) erhalten bleiben. Ingeborg Bachmann vergleicht die Unterdrückung Franzas mit der Kolonisation durch die Weißen und geht damit über eine geschlechtsspezifische Sichtweise hinaus. Das Patriarchat ist deshalb nur eine Spielart von Machtverhältnissen. Franza bleibt in ihrer Geschichtslosigkeit nur die Identifikationsmöglichkeit mit den Ureinwohnern Neuguineas, die an ‘tödliche[r] Verzweiflung’ (III, 413) starben: ‘Ich kann auch nicht mehr leben, weil er meine Gegenstände hat, [...] von Tag zu Tag wird dies schlimmer, dieses Leiden, es macht die Magie möglich, ich bin eine Papua.’ (III, 414). Damit erhärtet sich jedoch die Ausweglosigkeit ihrer Situation und deren tödliche Bedrohung. 3.4.3, Gewalt in der Zeit: An den konkreten Gewalterfahrungen Franzas demonstriert Ingeborg Bachmann die körperliche und sexuelle Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau als konstituierendes Merkmal des Geschlechterverhältnisses. Die Anstrengungen Franzas, sich den gesellschaftlichen Formen (z.B. der Ehe) anzupassen und so ihre Leiden abzumildern, scheitern endgültig an Jordans körperlicher und sexueller Gewalt. Die von ihm erzwungene Abtreibung (III, 419) ist der konkrete Anlaß für ihre Flucht und kann deshalb als Höhepunkt der subjektiven Leiden Franzas betrachtet werden. Gegen ihren Willen und erbitterten Widerstand führen mehrere Ärzte auf Anweisung Jordans den Eingriff durch, dessen Autorität als Psychologe und Ehemann legitimiert scheint. (III, 420, Hvhg. B.W.) Franzas Recht, über ihren Körper selbst zu entscheiden, wird vollständig ignoriert. Sie greift zu den extremsten Verhaltensformen, um den Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Doch weder ihr Kniefall (III, 420), das Zeichen der absoluten Unterwerfung, mit der die Gnade des Gegenübers erbeten wird, noch ihre verrückt anmutenden Ideen zur Aufbewahrung des Fötus und ihr Wunsch, ihn zu essen, ihn sich einzuverleiben, werden ihrer Bedeutung nach von den Ärzten wahrgenommen, geschweige denn erkannt. Sie gilt als verrückt und in schlechter ‘nervlicher Verfassung’. (III, 420).
Bettina Will, M.A., studierte an der Universität zu Köln erfolgreich Germanistik, Pädagogik und Philosophie. Sie ist Mitherausgeberin des Schulbuchs 'Vom Wert menschlichen Lebens' (Klett-Verlag) und heute u.a. Lehrbeauftragte zum Thema Wissenschaftliches Schreiben.
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