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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Künstlern wird oft eine psychische Prägung durch frühe Kindheitserlebnisse und anschließende kreative Verarbeitung nachgesagt. Bei Wissenschaftlern sieht eine fundierte Auseinandersetzung mit Biographie und theoretischem Werk meist anders aus. Gerade bei psychotherapeutisch tätigen Ärzten, Pädagogen, Psychologen und weiteren verwandten Fachgruppen ergibt sich eine forschungsrelevante Verbindung, da sich diese Wissenschaftler sowohl theoretisch als auch praktisch direkt mit der psychischen Entwicklung über den Lebenslauf hinweg beschäftigen. Da es in dieser Untersuchung nicht allein um die reine Verarbeitung von Bindungsmustern in der frühen Kindheit gehen soll, wird im psychotherapeutischen Feld die reflektierte Form eines generativen Bandes erörtert, das von beispielhaften Forschern theoretisch verarbeitet wurde, um prospektive Theoreme der Erziehung, Therapie und Bildung der nächsten Generation weiterzugeben. Hierbei werden sowohl Fragestellungen der Biographie- und Lebenslaufforschung miteinbezogen, als auch bindungstheoretische Erkenntnisse zum Begriff der Generativität im Lebenszyklus, zur Adoleszenz, wie zu zeitgenössischer Kreativitätsforschung. Paradigmatisches Beispiel für die Fusion dieser Entwicklungen ist der Lebenslauf und das Werk des Kinderarztes und Psychoanalytikers Donald W. Winnicott, von dem ein biographisches Fragment aus dem Nachlass in Bezug auf die Sinndimensionen von Generativität und früher Bindungserfahrung nach Ulrich Oevermanns Methode der Objektiven Hermeneutik analysiert wird.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2: Frühe biographische Bindungserfahrungen anhand der Bindungs-, Objektbeziehungs- und Mentalisierungstheorie: Wie biographische Erfahrungen mit Bindungspersonen in der Entwicklung theoretisch betrachtet werden können, soll im folgenden Teil geklärt werden. Ein geeigneter Rahmen für die hier zu untersuchenden Forscherlebensläufe ist die Bindungstheorie von John Bowlby. Diese wird anhand der aktualisierten Darstellungen von Peter Fonagy betrachtet, da dieser sowohl die ursprünglichen Grundlagen bei Bowlby, als auch das auf zeitgenössischem Forschungsstand stehende Konzept der Mentalisierung miteinander verbindet (vgl. Taubner 2015, S. 166). Die bildungswissenschaftliche Relevanz ergibt sich aus dem großen Einfluss der Mentalisierung im akademischen Feld, welche in der aktuellen psychodynamischen Forschung von nachhaltigem Einfluss ist (vgl. ebd.). Fonagy belegt im Sinne der Bindungstheorie den zentralen Einfluss von Beziehungsprägungen in der frühen Kindheit hinsichtlich der psychischen Strukturbildung, womit die Bindungseffekte in Bezug auf eine bestimmte Bindungsperson eine nachweisbare Auswirkung auf die Sozialisation erhalten (vgl. 2009, S. 39-40). Fonagy bettet dies in psychoanalytische Forschungen ein, indem er die Objektbeziehungstheorie verwendet, bei der umfassende Fragestellungen der Entwicklung miteinbezogen werden (vgl. S. 90). Die Ursprünge der Objektbeziehungstheorie liegen bei ihrem wichtigsten Vertreter W. R. D. Fairbairn, der sie als komplexe Wechselbeziehung zwischen Säugling und Mutter definiert, die mit der Suche und Trennung nach einem versorgenden und sorgenden Objekt verbunden sind (vgl. 2007, S. 275). Da diese Wechselbeziehung von Mutter und Kind nicht immer ausreichend funktioniert, konnte in näheren Untersuchungen in der Kleinkind- und Säuglingsforschung nachgewiesen werden, dass Kinder, die bei depressiven Müttern aufwachsen, in den meisten Fällen eine ungenügende Beziehungsfähigkeit entwickeln, da von diesen Müttern aufgrund ihrer Erkrankung die Affekte des Säuglings nicht ausreichend erwidert und gespiegelt werden (vgl. Fonagy 2009, S. 128). Aufgrund dieser Erkenntnisse betonte Daniel N. Stern grundlegend die ganzheitliche Beobachtung von Mutter und Kind auf einer zusammenhängenden Ebene, da in diesem geschlossenen System die Mängel der frühen Entwicklung entspringen (vgl. 1995, S. 203). Das hat allerdings weniger mit einer personenzentrierten Ursachenforschung zu tun, sondern betrifft vielmehr das Verständnis der zusammenhängenden Beziehungseinheit von Mutter und Säugling, die man in einem dynamischen Austauschverhältnis verstehen muss (vgl. Stern 1995, S. 3, vgl. Fonagy 2009, S. 142). Die Bestätigung dieser Forschungsergebnisse durch die Bindungstheorie führte zum Beleg, dass die Funktion des gesamten psychischen Bewusstseinssystems nur sichergestellt sein kann, wenn ein Kleinkind eine ausreichend gute Beziehungsrepräsentation erfährt (vgl. Fonagy 2009, S. 129). Von Seiten der psychoanalytischen Forschung heißt dies, dass die grundlegende Leistung einer emotionalen Beziehungsarbeit erst die überlebensnotwendigen Bewusstseinsstrukturen im Gedächtnis neu verankern kann (vgl. Fonagy 2009, S. 140). Über die Methodik der psychotherapeutischen Behandlung kann in diesem Sinn der Weg eines mentalen Korrektivs gewährleistet werden, um bindungstheoretisch gesprochen und Bowlby folgend eine notwendige ,sichere Basis‘ zu schaffen (vgl. Fonagy 2009, S. 142, S. 156, S. 80), im englischen Original secure base (Bowlby 1980, S. 182) genannt. Diese Beziehungsdynamik erfuhr eine Weiterentwicklung durch neuere wissenschaftliche Forschungsfelder und wurde erfolgreich und anschlussfähig mit der Begrifflichkeit der Mentalisierung erweitert und weitergehend untersucht (vgl. Fonagy et al. 2004, S. 9). Die wissenschaftliche Verwurzelung der Mentalisierung liegt sowohl in der Psychoanalyse, in der Theory-of-Mind (ToM) (vgl. Taubner 2015, S. 15), wie auch in der Bindungstheorie (vgl. Fonagy 2009, S. 178, S. 201). Die daraus erwachsene akademische Akzeptanz und breite Rezeption lieferte die Entwicklungswissenschaft, durch welche die Mentalisierung die Anschlussfähigkeit an empirische Forschungsmethoden erfahren konnte (vgl. Taubner 2015, S. 166). Auch eine Beeinflussung der psychotherapeutischen Praxis fand durch das Konzept der Mentalisierung nachhaltig statt (vgl. Taubner 2015, S. 165-166). Mentalisierung wird kurz gesagt als kognitive und soziale Fähigkeit verstanden, wenn man in der Lage ist, sich die eigenen mentalen Gefühle in einem anderen vorzustellen (vgl. Taubner 2015, S. 15). Wenn ein Kind also lernt zu verstehen, welche eigenen Gefühle es fühlt, dann kann sich bei ihm die Vorstellung und Fähigkeit entwickeln, wie ein Gegenüber sich fühlt und das Kind kann das eigene Verhalten im Verhalten des Anderen interpretieren und einschätzen (vgl. Taubner 2015, S. 15-16). Deshalb ist Mentalisierung eines der ausschlaggebenden Kriterien jeglicher Realitätseinschätzung, Affektregulation und Selbststrukturierung (vgl. ebd., S. 16). Eine so verstandene Form der Mentalisierung entwickelt sich zu einer sogenannten Symbolfunktion (Fonagy 2009, S. 175), die es dem Kind ermöglicht auf verschiedenes Verhalten emotional und sozial passend zu reagieren, um Emotionen wie Ärger, Freude oder Mitgefühl (etc.) zu steuern und ein homogenes Verständnis seines eigenen psychischen Handelns auszubilden (vgl. Fonagy 2009, S. 175). All diese Fähigkeiten werden als innere Arbeitsmodelle (oder Beziehungsmuster) (Fonagy et al. 2004, S. 370) verstanden, die sich allerdings nur entwickeln können, wenn eine ausreichende Bezugsperson zur Verfügung steht, die das Verhalten und die Wünsche des Kindes adäquat versteht und spiegeln kann (vgl. Fonagy 2009, S. 176). Durch die Untrennbarkeit von Mentalisierungsfähigkeit und Bindungserfahrung zeigte sich die zwangsweise Prägung der Schemata bei den Kindern, deren Verinnerlichung erst über ihre primären Bezugs-, Bindungs- und Erziehungspersonen möglich wird (vgl. Fonagy 2009, S. 109). Ist die Bindung zu diesen Bezugspersonen allerdings unsicher, inkohärent oder diffus, folgen in den meisten Fällen Formen aggressiven Agierens und andere Verhaltensauffälligkeiten (vgl. ebd.). Diese können sich auch schon bei einseitiger Mentalisierungsfähigkeit entwickeln und Syndrome wie beispielsweise Hyperaktivität fördern, bei der das Kind die notwendigen inneren Bedürfnisse nach Außen hin abreagiert (vgl. ebd., S. 110). Dies konnte bei Untersuchungen von Heimkindern belegt werden (vgl. ebd., S. 55). Auf der Seite der Bindungstheorie finden diese Mängel ihren Ursprung in einer nicht ausreichend ausgebildeten Kompetenz der Affektregulation, die durch mangelhaft entwickelte Objektrepräsentationen entstanden ist (vgl. Taubner 2015, S. 15). Der Begriff der Affektregulation wird von Allan N. Schore als psychobiologische Form der Selbstorganisation definiert, die ausreichende Formen der Bindung erst garantiert und zu produzieren in der Lage ist (vgl. 2009, S. 62). Die rechte Hirnhemisphäre ist nachweislich von ausschlaggebender Bedeutung hierfür, weil auf dieser Hirnseite Emotionen verarbeitet werden (vgl. ebd.). Bei einer unzureichenden Entwicklung und Ausbildung der rechten Hirnhemisphäre, gibt es eine starke Beeinträchtigung der Mentalisierungsfähigkeit, die dadurch fast unmöglich wird (vgl. ebd., S. 74). Gerade der Vollzug und die adäquate Verarbeitung bestimmender und starker Affekte wie Zorn, Trauer, Freude, Lust, Hoffnungslosigkeit oder Hoffnung (etc.) wird dann nahezu unmöglich (vgl. ebd., S. 74-75). Die Untermauerung seiner Thesen leistet Schore damit, dass der hauptsächliche Organisationsmechanismus auf der neuronalen Ebene nur mit einer guten Affektregulation funktioniert (vgl. ebd., S. 163). Die Bindungstheorie versteht er deshalb als paradigmatische und wissenschaftlich fundierte Theorie einer Vereinigung von Biologie und Psychoanalyse (vgl. ebd., S. 243). Fasst man das zusammen, so zeigt sich, dass beim Säugling die Beziehungsfähigkeit ursprünglich aus seiner neuronalen Organisation erwächst und resultiert (vgl. Schore 2009, S. 290). Ein funktionales Bindungsverhalten ist deshalb auch für die Entwicklung des limbischen Systems von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. ebd., S. 311). Eine Neubesetzung dieser fehlenden Beziehungserfahrungen kann nachfolgend erst in einer praktischen Behandlung mit psychotherapeutischen Methoden erfolgen, wo versucht wird diese nicht entwickelten oder gestörten Strukturen zu reorganisieren (vgl. ebd., S. 317). Auf der theoretischen Ebene dieser aktuellen Form des Bindungsverständnisses verdeutlicht sich damit die Wichtigkeit einer ausreichend guten Bindungserfahrung, die durch die frühe Kindheit geprägt wird und deshalb entwicklungsentscheidend für das spätere Erwachsenenleben und vor allem die eigene Biographie wird. Festzuhalten für die hier vorgenommene Hypothese bleibt damit, dass ausreichend gute Bindungen in der frühen Kindheit von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und das Erwachsenenleben sind. Gerade wenn die Affekte des Säuglings bei einer depressiven Mutter beispielsweise nicht adäquat erwidert werden, prägen diese Erfahrungen die Entwicklung und die Biographie, was anhand des Beispiels später verdeutlicht wird. Insgesamt sollte hier also gezeigt werden, dass über bindungstheoretische Erkenntnisse die Biographie nachhaltig geprägt wird, was auch für Forscher gilt.

Über den Autor

Bernd Aschenbrenner, geboren 1978, promovierte im Jahre 2012 nach dem Studium der Neueren Deutschen Literatur, Theaterwissenschaft und Amerikanischen Literaturgeschichte in München. Anschließendes Studium der Bildungswissenschaft. Er ist Autor diverser Publikationen.

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