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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der jüdische Psychologe und Holocaustüberlebende Viktor Frankl schildert in seinem 1946 publizierten und weltberühmten Werk …trotzdem Ja zum Leben sagen eindrucksvoll die eigene Haftzeit in verschiedenen Arbeitslagern der Nazis. Varlam Šalamov wurde unter Stalin als Konterrevolutionär nach dem berüchtigten ‘Paragraphen 58’ verurteilt, verbrachte 14 Jahre unter mitunter lebensbedrohlicher Zwangsarbeit im extremen Nordosten Sibiriens. Dieser prägendsten Zeit seines Lebens sind Erzählungen aus Kolyma gewidmet. Die mehrbändige Komposition verschiedener Kurzgeschichten gilt als eindrucksvollster Augenzeugenbericht über das Leben und Sterben im grausamsten Lagerkomplex der Stalin-Ära um den Fluss Kolyma. An der inhaltlichen Bergung dieses literarischen Schatzes sieht sich die vorliegende wissenschaftliche Abhandlung beteiligt. Während Šalamov von Nahestehenden als ‘verhärteter Pessimist’ beschrieben wird, ist der Grundtenor des Psychologen Frankl weitaus optimistischer. Wie gegensätzlich die Autoren in Bezug auf ihren Charakter sind, so verblüffend können sich ihre Betrachtungen ähneln oder einander ergänzen. Es bietet sich an, die individuellen Erfahrungen und moralischen Schlussfolgerungen gegenübergestellt zu betrachten. Wie stellt sich die geschilderte Lagerrealität bei Varlam Šalamov und Viktor Frankl dar und welche Auswirkungen auf das Seelenleben des Häftlings werden beschrieben? Mit dieser Frage ist das Kernthema der vorliegenden Arbeit umrissen. Die Berichte weiterer Häftlinge aus GULag und nationalsozialistischem Konzentrationslager bergen wertvolle Ergänzungen. Der literarische Vergleich ermöglicht eine umfangreiche Betrachtungsweise bezüglich der Beschaffenheit der menschlichen Natur in der ‘raubtierhaften Gegenwart’ des Lagers. Strukturgeschichtliche Hintergründe betten die Erfahrungen in einen historischen Rahmen. Hinführende Betrachtungen über das Phänomen Lager im Allgemeinen sollen nicht fehlen. Aktuell geraten die Schilderungen ehemaliger Häftlinge aus GULag und nationalsozialistischem Konzentrationslager vermehrt in den Blick der Wissenschaft. Nicht zuletzt dient die Lagerliteratur einem kritischen Hinterfragen der persönlichen Vorstellungen von Sittlichkeit und führt unweigerlich zu Reflexionen über das eigene Verhalten in vergleichbaren Ausnahmesituationen. Damit ist das Thema von ungebrochener Aktualität. Frankl und Šalamov machen deutlich, dass die reale Chance existiert, in der Situation des Lagers nicht zum Wolf für den Mensch zu werden. Doch waren es Wenige, die diese unerschütterliche Standhaftigkeit in moralischer Hinsicht bewiesen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Der Lagermensch: Ja, der Mensch ist zäh! Der Mensch ist ein Wesen, das sich an alles gewöhnt, mir scheint, das ist die beste Definition, die man von ihm geben kann (Fiodor Dostoievski). 4.1, Hunger: Eine erhebliche Unterernährung der Häftlinge ist Merkmal beider Lagersysteme. Viktor Frankl sagt über sich, dass er bei einem Gewicht von 40 Kilogramm im Lager zwischenzeitlich von lediglich 850 Kalorien pro Tag leben musste. In der letzten Zeit habe die tägliche Nahrung aus einer einmal am Tag verabreichten wässrigen Suppe, einer kärglichen Brotration (300g) sowie einer ‘Zubuße’ von 20g Margarine, minderwertiger Wurst oder Kunsthonig bestanden. Die Ernährungswissenschaftlerin Christine Stahl spricht von durchschnittlich 800 - 1000 Kalorien pro Tag und Häftling im deutschen KZ. Gemessen an der schweren Arbeit wären 4.200 bis 4.400 für Männer und 3.200 bis 3.300 Kalorien für Frauen nötig gewesen. Diese allgemeinen Bedarfswerte gelten auch für den GULag. Die außergewöhnliche Kälte an der Kolyma dürfte den Energiebedarf jedoch zusätzlich gesteigert haben. Das Lager war nach dem ‘Prinzip der Fütterung’ (kotlovka) organisiert. Mittels festgelegter Verpflegungskategorien trieb man die Häftlinge zu härterer Arbeit: Im Jahr 1937 habe es täglich je nach erfüllter Arbeitsnorm 1000, 800 oder 600 Gramm Brot gegeben.90 Die Strafration wird mit 300 Gramm angegeben. Panikarov zufolge sei die Sollerfüllung Ende 1938 lediglich von 30 Prozent der Häftlinge erreicht worden, in einigen Goldminen von unter 10 Prozent. Die durch den Hauptenergielieferanten Brot verabreichte Kalorienzahl dürfte zwischen 600 und 2000 gelegen haben. Weitere Zugaben waren Tee, Suppe sowie Zucker und konnten aus kleinen Portionen Fisch oder Wurst bestehen. Nach dem Psychologen Abraham Maslow (1908-1970) lässt erst die Befriedigung der unmittelbaren physiologischen Notwendigkeiten weitere Ebenen menschlicher Bedürfnisse wirksam werden. Im Lager steht aufgrund chronischer Unterernährung der Nahrungstrieb im Mittelpunkt. Die individuelle Beziehung des Lagerinsassen zur Nahrung und ihr unermesslicher Wert für den Delinquenten drücken sich in der Lagerliteratur aus. Primo Levi schreibt über die Bedeutung des Brotes: ‘Brot […], dieser heilige graue Würfel, der dir in der Hand deines Nächsten so riesig vorkommt und in deiner eigenen so klein, daß du weinen könntest.’ Was von Seiten der Lagerleitung letztendlich bloß der notwendige Garant für den Erhalt der erwünschten Arbeitsleistung ist, bedeutet für den Häftling Leben. Neben den Notwendigkeiten des Alltags spielt in der Novelle des Aleksandr Solženicyn ‘Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch’ die Sorge um die unverzichtbare Nahrung und der Genuss derselben die zentrale und sinnstiftende Rolle im Leben des Häftlings Šuchov. Varlam Šalamov widmet dem Brot eine ganze, gleichnamige Erzählung: Geradezu als Heilsbringer wird der Austeiler der Essensrationen von tausenden Menschen erwartet. Eine genaue Beschreibung des ihn umgebenden Lichtscheins im Eingang der Baracke untermalt die quasi sakrale Bedeutung der Erscheinung. Die Größe der individuellen Ration wird zu einer ‘Sache des Glücks - der Karten in diesem Spiel mit dem Hunger’. Alltäglich erscheint, ‘daß zehn Gramm mehr oder weniger […] zu einem Drama führen können, vielleicht zu einem blutigen Drama. […] Tränen sind häufig, sie verstehen alle, und über Weinende lacht man nicht’. Durch ‘Streicheln’ und ‘Drücken’ des Heringsschwanzes erfolgen die genaue Analyse der Mahlzeit und ihre ökonomische Bewertung. Stets wird auf ein ‘Wunder’ gehofft, dass sich zum Beispiel in einer etwas fettreicheren Portion ausdrücken könnte. Schließlich isst der Häftling den Hering nicht, sondern ‘er leckt, er beleckt ihn, und das Schwänzchen verschwindet allmählich aus den Fingern’. Die Tagesration von 500 Gramm Brot werden gelutscht ‘wie ein Bonbon’, jedoch ‘sofort, so kann es niemand stehlen und niemand wegnehmen’. Nebenbei berichtet Šalamov von zahllosen theoretischen Diskursen der Häftlinge bezüglich der Zusammensetzung von Mahlzeiten und Verzehrweisen. Auch Frankl kennt ‘endlose Debatten’ über Taktiken des Verzehrs der knapp bemessenen Rationen. Die weit verbreitete Attitude der Häftlinge, sich ihre Lieblingsspeisen und ganze Menüs auszumalen und diese untereinander zu kommunizieren, sei im Lager als ‘Magenonanie’ bezeichnet worden. Entsprechende Träume der Hungernden liegen auf der Hand. ‘Brotlaibe, die durch die Luft flogen und alle Häuser, alle Straßen, die ganze Erde erfüllten’ bezeichnet Šalamov als ‘ständigen Kolyma-Traum’. Die Empfindung des Zustandes eines permanenten Denkens an Nahrung als ‘menschenunwürdig’ spricht Frankl ‘gerade den Besten’ zu.

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