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- Die Neurowissenschaften im Kreuzfeuer der Philosophie: Schwerpunkte der philosophischen Kritik an den Neurowissenschaften
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 44
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Arbeit behandelt einen seit Jahrzehnten zwischen Philosophie und Neurowissenschaft schwelenden Konflikt: Namhafte Philosophen werfen Neurowissenschaftlern vor, in ihren Überlegungen grundsätzliche philosophische Fragen zu vernachlässigen und dadurch möglicherweise schwerwiegende Fehlschlüsse zu riskieren. Andererseits unterstellen angesehene Neurowissenschaftler der Philosophie indirekt, die neuen Entwicklungen ihrer Zunft nicht schnell und umfassend genug zur Kenntnis zu nehmen. Sie fordern die Philosophen zum Dialog über die Konsequenzen der neurowissenschaftlichen Forschung auf und melden sich mit eigenen philosophischen Überlegungen zu Wort. Der Disput berührt mehrere Teilbereiche der Philosophie, von denen in dieser Arbeit die Philosophische Anthropologie, die Philosophie des Geistes und die Analytische Philosophie schwerpunktmäßig behandelt werden. Damit gibt sie einen Einblick in den aktuellen Stand dieses Diskurses, vor allem im deutschsprachigen Bereich, ohne allerdings auf diesen beschränkt zu sein: Die globale Dimension ist durch die Bezugnahme auf eine Diskussion zwischen Maxwell Bennett und Peter Hacker sowie zwischen Daniel Dennett und John Searle gegeben. Als deutschsprachige Neurowissenschaftler kommen vor allem Wolf Singer und Gerhard Roth zu Wort, als Philosophen Hans-Peter Krüger, Thomas Fuchs, Dieter Sturma und Peter Janich. Letztendlich zeigt die Arbeit, dass der philosophische Diskurs im Spannungsfeld zwischen der naturalistischen naturwissenschaftlichen Forschung und der um anthropologische Fundierung und wissenschaftstheoretische wie begriffliche Klarheit bemühten Philosophie mit großem Engagement und auf hohem Niveau geführt wird.
Textprobe: Kapitel 4, Kritik aus der Sicht der Philosophischen Anthropologie: 4.1, Hans-Peter Krüger: 'Gehirn, Verhalten und Zeit': Hans-Peter Krüger bekennt sich in seinem Buch Gehirn, Verhalten und Zeit (vgl. Krüger 2010, 16) zur Philosophischen Anthropologie im Sinne von Helmut Plessner. Aus dieser Perspektive analysiert er die Konfrontation der neurobiologischen Hirnforschung mit der vergleichenden Verhaltensforschung und konstatiert zunächst, dass diese beiden 'einander entgegengesetzte Erklärungsrichtungen' (Krüger 2010, 16) einschlagen würden: Die Hirnforschung versuche, Verhalten von innen, vom Gehirn her, zu erklären, während die Verhaltensforschung vom Verhalten auf neurologische Gegebenheiten schließe. Die Lebenswissenschaften seien 'zunächst kognitive Verstehensgemeinschaften, ehe sie auf bestimmte und bedingte Weise zu Erklärungsgemeinschaften werden können' (Krüger 2010, 18). Die Philosophische Anthropologie biete einen Rahmen für die Begegnung dieser beiden Forschungsrichtungen. Im zweiten Kapitel des erwähnten Buches geht Krüger konkret auf Fehlschlüsse der neurobiologischen Forschungsgemeinschaft ein. 4.1.1, Der mereologische Fehlschluss: Krüger beruft sich auf das Buch 'Philosophical Foundations of Neuroscience' von Maxwell Bennett (2003) und Peter Hacker, das er als bahnbrechendes Werk anerkennt (vgl. Krüger 2010, 75). Der häufigste Fehler, den die Autoren den Neurobiologen vorwerfen, ist der mereologische Fehlschluss, also eine falsche Einschätzung der Beziehung von einem Teil eines Phänomens zum gesamten Phänomen. Sie bringen dazu eine Reihe von Zitaten namhafter Naturwissenschaftler, die davon sprechen, dass das Gehirn etwas erkennt, etwas entscheidet, etwas vergleicht etc. und bezeichnen das als grundlegenden logischen Fehler. Krüger greift genau dieses Argument auf: 'Sie [Bennet und Hacker] haben in einem vor allem spätwittgensteinianischem (sic) Sinne, die mereologischen Fehlschlüsse in der neurobiologischen Hirnforschung offengelegt.' (ebd.). In der neurobiologischen Hirnforschung würden somit dem Gehirn als einem Teil des Organismus Aktivitäten zugesprochen, die eigentlich dem ganzen Organismus lebender Personen zuzurechnen sind. Krüger analysiert dann weitere Konfliktpotentiale, aus denen hier nur einige herausgegriffen werden können. 4.1.2, Subjekt und Geist als Phänomene verschiedener Ordnung: In einer Veröffentlichung von Gerhard Roth hat Krüger eine Argumentation gefunden, die er als charakteristisch für die Neurobiologie einschätzt: Roth erklärt zum Zusammenspiel des limbischen Systems mit den kortikalen Zentren, dass ersteres entwicklungsgeschichtlich früher entstanden ist und auch in der Zusammenarbeit den Rahmen vorgibt. Die Schlussfolgerung, dass Bewusstsein und Einsicht somit vom limbischen System bevormundet werden, hält Krüger für einen 'Rückweg aus den Korrelaten in die Beobachtung und Selbstbeobachtung des Verhaltens' (Krüger 2010, 93). Dieser Rückweg werde fälschlicherweise für eine Erklärung gehalten. Man könne aber nicht aus einer Korrelation zwischen zwei Phänomenreihen schließen, dass eine Reihe durch die andere ersetzt werden kann. Roth komme so zu seiner Vorstellung, wonach das Gehirn das Verhalten steuert. Das führe in letzter Konsequenz zu einer Einschränkung des Geistes auf individuell erlebbare Zustände und damit einer Verleugnung des 'objektiven Geistes' im Hegelschen Sinne, der zwar strukturell an ein Subjekt gekoppelt sei, aber in Phänomenen anderer Ordnung als denjenigen des Subjekts' zugänglich werde (Krüger 2010, 99). 4.1.3, Die hermeneutische Zärtlichkeit Wolf Singers: Mit den Arbeiten von Wolf Singer setzt sich Krüger ausführlich und durchaus respektvoll auseinander und übt dabei nur zurückhaltende Kritik, indem er schreibt: Mir scheint seine inhaltliche Bestimmung der selbstreferenziellen Funktionsweise des Gehirnes an einer enormen hermeneutischen Zärtlichkeit für seinen Gegenstand zu leiden. Er projiziert Unterscheidungen, die in der soziokulturellen Praktik vorkommen, insbesondere in der Praktik der eigenen neurobiologischen Forschung, vor in die selbstreferenzielle Funktionsweise des Gehirnes.' (Krüger 2010, 106). Den Begriff 'hermeneutische Zärtlichkeit' interpretiere ich hier so, dass er Singer vorwirft, in seinem Bestreben nach Erklärung neurophysiologischer Vorgänge zu wenig kritisch zu sein. Hier zeigt sich meiner Ansicht nach ein immanenter Konflikt zwischen Geistes- und Naturwissenschaft: die letztere versucht, meist evolutionstheoretische Erklärungen für die beobachteten Phänomene zu finden und die Philosophie bezeichnet das als eine Vorprojektion auf die soziokulturelle Praktik, weil es nicht schlüssig beweisbar ist. Krüger sagt dazu noch folgendes: 'Roth und Singer fordern gegen den alten Dualismus von Natur- oder Geisteswissenschaften zurecht, Geisteswissenschaften mögen nicht nur Verstehenskünste ausbilden, sondern auch Erklärungsleistungen vollbringen. Aber das Umgekehrte gilt in der Überwindung dieses anachronistischen Gegensatzes eben auch: Die neurobiologischen Forschungspraktiken sind Verstehenspraktiken, die das von ihnen selbst nicht kontrollierte Vorverständnis nicht mit ihrer Erklärungsleistung verwechseln sollten.' (Krüger 2010, 110). Das ist meines Erachtens ein ganz entscheidender Punkt der philosophischen Kritik, der sich dagegen richtet, angenommene Evolutionsmechanismen als hinreichende Erklärung naturwissenschaftlicher Phänomene heranzuziehen. Meine persönliche Einschätzung dazu ist, dass eine evolutionstheoretische Begründung immer nur ein abduktiver Schluss ist, also ein Schluss auf die beste Begründung - und der ist bekanntlich nicht alleine wahrheitsbegründend. Die Kritik von Krüger an Singer ist also ausführlich, respektvoll und philosophisch fundiert, bleibt aber auf einer ziemlich allgemeinen Ebene. Konkrete, unwiderlegbare Fehler oder Fehlschlüsse hat Krüger an der Arbeit Singers und Roths meines Erachtens nicht zutage gefördert. 4.2, Thomas Fuchs: 'Das Gehirn - ein Beziehungsorgan': Konstruktiv findet Krüger auch die Kritik von Thomas Fuchs (Fuchs 2009), der schon im ersten Satz des Vorworts sehr klar das programmatische Bestreben zum Ausdruck bringt, 'die gegenwärtigen Fortschritte der Hirnforschung in einen anthropologischen Zusammenhang zu stellen, der das Gehirn als ein Vermittlungsorgan für unsere leiblichen, seelischen und geistigen Beziehungen mit der Welt zu begreifen erlaubt - als Beziehungsorgan oder als Organ der Person' (Fuchs 2009, 9). Dazu müsse man sich von einer einseitig reduktionistischen Sicht auf das Gehirn lösen und diese durch eine subjektorientierte und ökologische Sichtweise des Zusammenhangs von Gehirn, Psyche und Sozialität ersetzen (vgl. ebd.). Dem mereologischen Fehlschluss stellt Fuchs den lokalisatorischen Fehlschluss zur Seite, der die übertriebene Begeisterung der Neurobiologen für die farbenfrohen Auswertungen bildgebender Verfahren kritisiert. Die Lokalisationsthese habe zwar ihre Berechtigung, aber keines der dabei als Sitz bestimmter Aktivitäten identifizierten Gehirnareale könne 'die komplexen Integrationsleistungen erbringen, wie sie Bewusstseinsprozessen zugrunde liegen' (Fuchs 2009, 70). Damit erteilt Fuchs auch der Suche nach den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins eine Absage, die er als in einem weitgehend spekulativen Stadium befindlich betrachtet (vgl. Fuchs 2009, 70 f). Im Schlusswort bezeichnet Fuchs das Gehirn als 'das >Organ der Möglichkeiten< - doch realisieren kann diese Möglichkeiten nur das Lebewesen, die Person als ganze' (Fuchs 2009, 283). Damit setzt er den Ansprüchen der Neurobiologen ein griffiges Schlagwort aus der Sicht der Anthropologischen Philosophie entgegen.
Diplomkaufmann Karl-Heinz Mayer, BA, wurde 1943 geboren und hat sich bereits in der Mittelschule für die Philosophie interessiert. Nach einem betriebswirtschaftlichen Studium und einer beruflichen Laufbahn im Management internationaler Konzerne absolvierte er allerdings erst im Ruhestand ein Philosophiestudium an der Universität Wien. Sein besonderes Interesse für die philosophischen und neurowissenschaftlichen Grundlagen kognitiver Aktivität hat ihn zur Wahl des Themas seiner Bachelorarbeit bewogen.
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