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- Die Lautpoesie der Dadaisten: Eine Untersuchung zu Hugo Ball, Raoul Hausmann und Kurt Schwitters
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 44
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die künstlerische und literarische Bewegung Dada wurde 1916 in Zürich gegründet und endete ca. 1923. Sie entstand unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und wandte sich gegen die herkömmlichen Lebens- und Kunstvorstellungen. Heute wird der Dadaismus meist in Verbindung mit der Kunst gebraucht, die literarischen Werke finden wenig Beachtung. Dabei findet sich gerade in ihnen, in der Dichtung als auch in der Prosa, das, was den Protest, die Revolte am Konventionellen deutlich macht: Der Sinn soll entstellt werden, die Syntax gesprengt und jede Semantik verloren gehen. Das dadaistische literarische Werk hat eine eigene Sprachautonomie. Diese Autonomie zeigt sich in der Lyrik in zwei verschiedenen Typen: dem surrealistischen Gedicht und der Lautpoesie. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich intensiv mit dem zweiten Gedichttypus, dem ‘Silben-, Klang-, Ton- oder Lautgedicht’ und dessen dadaistischer Entwicklung. Diese wird anhand dreier Künstler nachvollzogen: dem Mitbegründer des Züricher Dadaismus Hugo Ball, dem ‘Dadasophen’ Raoul Hausmann und dem Merz-Künstler Kurt Schwitters. Ziel ist es, dem Leser einen umfassenden und kritischen Eindruck über das Thema der Lautpoesie zu verschaffen
3, ‘Dadasoph’ Raoul Hausmann und die optophonetische Poesie: ‘Ich fühlte, daß Dichtung und Schrifttum etwas anderes sein konnten als das Lob oder die Klage um ein eingebildetes Erleben, meist von den Dichtern in Versgeklingel gekleidet’. Der Berliner Dadaist Hausmann macht es sich zur Aufgabe die phonetische Poesie zu reformieren, um ihr eine neue Ausdrucksmöglichkeit zu geben als nur in der Sprache selbst. Eine Form dafür ist das 1918 entwickelte ‘Plakat-Gedicht’ Hausmanns, eine Ausdrucksform, ‘die die verschiedenen Werte der Konsonanten und Vokale durch verschiedene Grade der Buchstaben [unterstreicht] […].’ Damit sieht er ‘das phonetische Gedicht aus dem Käfig des Buches’ befreit. Sein Ziel ist die Optophonetik, die Verbindung von Ton und Bild. Zu diesem Zweck entwickelt er das Optophon, einen Apparat, der genau diese Verbindung herstellen soll. Drews spricht von ‘einer Art phonetischer Eigengesetzlichkeit’ der die Aussprache von Hausmanns Buchstabenfolgen folgt, da sie nicht mehr an ‘gebräuchlichen poetischen Organisationsprinzipien orientiert [sind.].’ Seine Lautdichtungen von 1918/19 sind radikaler als die Balls, sie orientieren sich in keiner Weise mehr an herkömmlichen Formen, wie zum Beispiel dem strophenähnlichen Aufbau von Balls Karawane. Das dominierende Element ist das optische, nicht der lautliche Vortrag wie bei Ball. Petersen bezeichnet Hausmann deshalb nicht als ‘Sprach- oder Lautkünstler’ sondern als ‘Bildner und Konstruktivist’. Wie sich die Entwicklung des Lautgedichts bei Hausmann vollzieht, soll in diesem Kapitel näher beschrieben werden besondere Aufmerksamkeit widme ich dem optophonetischen Anteil seiner Poesie. Seine Apparatur, das Optophon wird vorgestellt und zuletzt sein Plakatgedicht fmsbw eingehender untersucht. 3.1, ‘Das Ziel und der endgültige Sinn der Phonie war: die Optophonetik.’ - Vom Lautgedicht zur optophonetischen Poesie: ‘Aufs Lautgedicht stieß Hausmann ohne direkten Einfluß Hugo Balls, der im Juni 1916 im Züricher ‘Cabaret Voltaire’ mit dieser Kunstentdeckung debütierte, dabei während des Vortrags und durch den Vortrag ganz ‘außer sich’ geratend. Der BERLINER DADAIST war von solcher Ekstatik unbelastet stärker durch die ‘zersprengten’ Lettern der italienischen Futuristen geprägt, kam er übers Buchstaben- und Plakatgedicht zur Lautpoesie’. Hausmann selbst schreibt in seiner Geschichte des Lautgedichts über seine Erfindung der ‘lettristischen’ Poesie, unabhängig von Ball im Jahre 1918. Als Grund nennt er die ‘Notwendigkeit, eine neue sprachliche Ausdrucksform zu finden […].’ Wichtig erscheint mir hierbei, dass Hausmann seine ‘lettristische’ Poesie von den anderen, welche er als ‘phonetisch’ bezeichnet, abgrenzt. Die Verbindung beider gegensätzlicher Paare führt dann zum opto-phonetischen Gedicht Hausmanns. Die Entwicklung dahin soll an dieser Stelle kurz nachvollzogen werden. Hausmann berichtet über Buchstabengedichte, die seiner Meinung nach ‘wohl auch zum Sehen da [sind], aber auch zum ANsehen - warum also nicht Plakate aus ihnen machen?’ Das Plakatgedicht Hausmanns ist noch ganz lettristisch, und wenn man seiner Definition von Optophonetik kritisch gegenübersteht, bleiben sie das auch. Warum, zeigt sich durch die Beschreibung der Entstehung eines solchen Plakatgedichts: ‘Dank dem Verständnis des Setzers war die Verwirklichung leicht, aus dem Kasten der großen hölzernen Buchstaben für Plakate nach Laune und Zufall hineingesetzt, was da so kam, und das war sichtbar gut. Ein kleines f zuerst, dann ein m, dann ein s, ein b, eh, was nun? Na, ein w und ein t und so weiter und so weiter, eine große écriture automatique mit Fragezeichen, Ausrufezeichen und selbst einer Anzeigehand dazwischen’! In dieser Euphorie über die Leichtigkeit der Entstehung und Originalität solcher Plakatgedichte prägt und definiert Hausmann seine Optophonetik im Hinblick auf die ‘lettristische’ Poesie, er schreibt: ‘Große sichtbare Lettern, also lettristische Gedichte, ja noch mehr, ich sagte mir gleich optophonetisch! Verschiedene Grös-sen zu verschiedener Betonung! Konsonanten und Vokale, das krächzt und jodelt sehr gut! Natürlich, diese Buchstabenplakatgedichte mußten gesungen werden! DA! DADA’! Gleich zwei Probleme treten in dieser Aussage Hausmanns auf, nämlich die Frage nach dem Anteil der Vokale in seiner Poesie und die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Aussprache von Buchstabengrößen. Hausmann hat die Entstehung eines Plakatgedichts als zufälliges Finden von Buchstaben beschrieben, was natürlich dazu führt, dass die Konsonanten in einem solchen Gedicht überwiegen. An dieser Stelle möchte ich Riha zitieren, der dieses Problem treffend erläutert: ‘Da das Alphabet ein starkes Übergewicht der Konsonanten zeigt, muß nach dem Gesetz des Zufalls und der Laune, das Hausmann apostrophiert, das >lettristische<, >phonetische< oder >optophonetische< Gedicht der Berliner Dadaisten zwangsläufig konsonantischer ausgerichtet sein als das auf der Dominanz von Vokalen basierende Lautgedicht Balls’. Riha spricht in dem Zusammenhang an einer anderen Stelle von entstehenden ‘Lese- und Artikulationsschwierigkeiten’ , die sich beim Leser ergeben können. Tatsächlich ist es nahezu unmöglich die Buchstaben ohne Vokaleinschub überhaupt zusammenhängend auszusprechen. Das Vorhaben Hausmanns, das Plakatgedicht soll nicht nur lettristisch, sondern auch phonetischer Natur sein, um als optophonetisch zu gelten, ist schwer umzusetzen. Ganz eindeutig überwiegt das optische gegenüber dem phonetischen, zumindest beim Rezipienten des Gedichts. Ansatzweise ist die Absicht, dass ‘[i]solierte Drucklettern […] zwischen einer optischen und akustischen Wahrnehmung vermitteln [sollen]’ , so Hausmann, in seinem Gedicht kp’ erioum verwirklicht: Lautstärke und Betonung als Aspekte der Aussprache sollen mit graphischen Mitteln ins Bild gesetzt werden. Auf die Gefahr hin, meiner eigenen, Hugo Ball betreffenden, Argumentation zu widersprechen, stimme ich an dieser Stelle mit Schenk überein, wenn er festhält, dass die Schriftgröße und Schriftart nur ein Indiz für die Aussprache sein, diese jedoch nicht verbindlich festlegen kann. Der Leser muss also in gewissem Maße mit den Absichten der Dadaisten vertraut sein, um dieses Gedicht ‘richtig’ sprechen zu können. Ist er es nicht, basiert eine phonetische Realisierung der Schriftgröße oder –art nur auf Zufall. Noch eine weitere Sache kommt erschwerend hinzu: Hausmann verzichtet gegenüber Ball auf jede Art von Titel, die dem Leser zumindest ansatzweise eine gewisse Semantik in Bezug auf das Gedicht geben könnte. Riha bezeichnet Hausmann deshalb als ‘radikalere[n] Lautpoet[en]’ als Hugo Ball. Im Gegensatz zu Ball finden sich bei Hausmann auch keinerlei konventionelle Gedichtstrukturen, die beim Rezipienten eine gewisse Aussprache (zum Beispiel durch ein gewisses Metrum, eine stimmliche Absenkung am Strophenende etc.) implizieren können. Er verzichtet auf alles bekannte, setzt oder lässt Buchstaben nebeneinandersetzen und tendiert ‘gegen den Vokalismus Balls […] zum strikten, nur noch gelegentlich durch Vokale aufgelockerten Konsonantismus’. Die Entwicklung des opto-phonetischen Gedichts, also der Zusammenschluss von Stimme und Schrift, die Hausmann in seiner Poetologie beabsichtigt, ist ihm hinsichtlich seiner Plakatdichtungen wohl nur bedingt gelungen. Dass diese Absicht aber eng an die Entwicklung der technischen Medien gebunden ist, zeigt sich darin, dass Hausmann zeitgleich an der Entwicklung des Optophons arbeitet, welches phonetische Schwingungen, sprich die Übertragung der Schallwellen beim Sprechen, sichtbar machen soll. 3.2, Das Optophon: ‘In the years between 1921 and 1934, this question [die Frage nach der Gegenwart des materiellen Körpers in der neuen televisuellen Realität und der Kunst, C.K.] had let him to generate a series of theoretical texts and one major technological invention. This latter was the so-called Optophon: an apparatus designed to transform sound signals into light signals and vice-versa – a technological elaboration on the sound-image oscillation that Hausmann had already explored in his ‘optophonetic’ letter poems’. Einer der theoretischen Texte, die Blom anspricht, ist ‘Optophonetik‘ von Raoul Hausmann. Er soll für die folgende Erläuterung dieses Apparats als Ausgangstext dienen. Die Arbeitsweise des Optophons ist von Hausmann selbst kompliziert erläutert, er verwendet dafür ein Telefon, Selenzellen und filmische Mittel. Die einfachste Vorstellung die man sich davon machen kann und die auch im Hinblick auf seine Poetik Sinn macht, ist die der ‘fotografierten Musik’. An dieser Stelle wird noch deutlicher, was Hausmann beabsichtigt mit der Aussage: ‘Natürlich, diese Buchstabenplakatgedichte mußten gesungen werden!’. Wie soll das ganze also funktionieren und was hat das mit seiner Dichtung zu tun? Deutlich wird dies bei Hausmanns Erläuterung der Funktionsweise, die hier kurz wiedergegeben werden soll: Hausmann schaltet in den Lichtkreis der Bogenlampe ein Telefon. Spricht man in dieses, werden alle Laute etc. in akustische Schwingungen verwandelt, der Lichtstrahl passt sich den Schwingungen an. Eine Selenzelle, die vor den sich bewegenden Lichtbogen gestellt werden soll, leistet bei verschiedenen Beleuchtungsgraden verschiedene Widerstände. Hinter der Selenzelle wird ein Film gespielt , auf dem die ‘fotografierten Töne in Form von mal schmäleren, mal breiteren, mal helleren und mal dunkleren Streifen erscheinen, die durch adäquate Umkehrung des Verfahrens wieder in Töne zu verwandeln sind’. ‘Beim entsprechenden technischen Aufbau verfügt das Optophon über die Kraft, oder besser gesagt, über die Fähigkeit, jeder optischen Erscheinung ihr Äquivalent im Ton zu zeigen, oder anders gesagt: Es transformiert die Schwingungsunterschiede von Licht und Ton […]’. Wenn man sich an dieser Stelle die zitierte erste Zeile des Gedichts kp’erioum anschaut, wird die Absicht Hausmanns nicht nur deutlicher, man kann das Gedicht wirklich ‘lesen’. Schenk schreibt dazu: ‘Die Erläuterungen von Hausmann zu seiner kuriosen Erfindung des OPTOPHONS bringen den Aspekt einer Transposition von Ausdruckssubstanzen im Begriff des opto-phonetichen Gedichts [sic!] deutlich hervor.’ Die kleinen Buchstaben kp am Anfang deuten auf leises Sprechen hin, da nur schwache Lichtschwingung dünne und kleine Streifen (in dem Falle dann Buchstaben) hervorbringt. Am lautesten müssten das e und r ausgesprochen werden, da deren ‘Streifen’ am dunkelsten und breitesten sind. Stellt man sich die ‘Funktionsweise’ eines optophonetischen Gedichts also unter diesem Aspekt vor, bekommt es durchaus Sinn. Wie aber schon zuvor angedeutet, muss der Rezipient dazu mit den Absichten als auch mit der technischen Apparatur, dem Optophon, erst vertraut sein, um dies stimmlich umsetzen zu können.
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