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- Der unzuverlässige Wissenschaftler: Erzählerfiguren im Neuen Historischen Roman
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 56
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Wie wird Geschichte geschrieben? Anhand von Tomás Eloy Martínez’ Roman Santa Evita (1995, Argentinien) und Celia del Palacio‘s No me alcanazará la vida (2008, Mexiko) untersucht diese Arbeit, wie die offizielle Geschichtsschreibung im lateinamerikanischen Neuen Historischen Roman in Frage gestellt wird. Über die Analyse der Erzählerfiguren, die in beiden Fällen suggerieren, ein bestimmtes historisches Ereignis mit größtmöglicher wissenschaftlicher Objektivität wiederzugeben, wird gezeigt, welchen Einfluss diese selektierenden und interpretierenden Instanzen auf die Darstellung eines historischen Geschehens haben. Da sich diese Wissenschaftler in den Romanen aber jeweils als höchst unzuverlässige und wenig gefestigte Persönlichkeiten entpuppen, wird offengelegt, welche zentrale Stellung einem Historiker, der ein historisches Ereignis rekonstruiert, zukommt. Im Sinne eines postmodernen Geschichtsverständnisses zeigt diese Arbeit, welchen Beitrag der Neue Historische Roman dazu leistet, die offizielle Geschichtsschreibung als eine Fiktion zu entlarven, die von jedem selbst mit einer bestimmten Intention rekonstruiert wird und somit immer in einem bestimmten Verhältnis zur Gegenwart steht.
Textprobe: Kapitel 3.2, Distanz zum historischen Geschehen: Ebenso wie Menton es als unabdingbares Kriterium ansieht, dass der Autor eines historischen Romans in gewisser zeitlicher Distanz über ein historisches Ereignis schreibt, zeichnet sich auch der Erzähler eines historischen Romans dadurch aus, dass er zeitlich distanziert das Geschehen reflektiert und nicht unmittelbar in das Geschehen involviert ist. Gerade diese Distanz verschwindet aber in Neuen Historischen Romanen häufig: Auf der einen Seite geschieht dies durch das Spannungsverhältnis verschiedener Zeitebenen, in denen sich viele Neue Historische Romane und auch deren Erzählerfiguren angesiedelt sind: ‘Ausgehend von der Überlegung, daß historische Romane nicht nur geschichtliche Themen behandeln, sondern auch ‚Probleme der Zeit, in der sie entstehen’ reflektieren, stellt Gallmeister (1981: 160) daher zu Recht fest, dass sich Texte dieses Genres ‚häufig auf zwei Zeitebenen’ bewegen’ (Nünnung 1995, I:106). Dadurch wird deutlich, dass es sich bei der Geschichtsschreibung nicht um einen abgeschlossenen Prozess handelt, sondern dass dieser vor allem von der Gegenwart instrumentalisiert wird: Die Distanz zwischen beiden Zeiträumen verschwindet. Darüber hinaus tragen auch ‘la narración en primera persona, el uso del monólogo interior o de diálogos coloquiales” (Grützmacher 2006: 148) zur Brechung dieser Distanz bei. Durch die Schilderung eines historischen Ereignisses aus der Sicht eines Ich-Erzählers wirkt die Darstellung besonders subjektiv, ist aber andererseits auch gut dazu geeignet ‘[de] ‚naturalizar’ el procedimiento narrativo y conseguir un alto efecto de credibilidad’ (Martínez García 2002: 215). Monologe und Dialoge können dazu dienen, den Leser direkt ‚in die Geschichte zu entführen’: In ihnen spiegeln sich direkt Gedanken der Protagonisten wider und tragen somit dazu bei, die Motive ihrer Handlungen nachvollziehen zu können. Dabei handelt es sich aber offensichtlich um fiktive Elemente, die nie der historischen Wirklichkeit entsprechen können. Insgesamt kann man sagen, je weniger Distanz zwischen Erzählinstanz und historischem Geschehen, ‘desto mehr erscheinen auch ihre Deutungen und Erklärungen als interessengeleitet und möglicherweise zweifelhaft’ (Stenzel 2005: 79). Gerade durch diese fehlende Distanz kann die Erzählerfigur der Rolle eines traditionellen allwissenden und objektiven Erzählers nicht gerecht werden: Sein Blick auf das historische Ereignis ‘es la perspectiva de un sujeto que se ve incapaz o renuncia a imponer un orden, un significado y una finalidad a una vida que carece de ellos’ (Martínez García 2002: 217). Anstatt ein historisches Ereignis kohärent und objektiv zu rekonstruieren, wird er damit zum Schöpfer seiner eigenen Version der Geschichte.
Neele Meyer, M.A., geboren 1985 in Oldenburg, studierte Romanistik mit Schwerpunkt auf lateinamerikanische Literatur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Anschließend absolvierte sie einen Master in Lateinamerikastudien an der Universiteit Utrecht, Niederlande. Nach mehreren Aufenthalten im Rahmen verschiedener Stipendien- und Praktikumsprogramme in Indien konzentriert sich Neele Meyer auf komparatistische Arbeiten zur zeitgenössischen indischen und lateinamerikanischen Literatur.