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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 52
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Davon haben wir nichts gewusst! Mit diesem Satz leitet der Autor seine Studie zum Holocaust ein und nutzt diesen als Basis zu seiner Arbeit. Er diskutiert, inwiefern diese scheinbare Unkenntnis tatsächlich zutrifft und analysiert diese Frage einerseits in einem wissenschaftlichen Diskurs, welcher die Entwicklung und den Fortgang in der Erforschung des Wissens der Deutschen um den Holocaust untersucht und weiterhin im populären Diskurs, basierend auf der Zeitschrift ‚‚Die Zeit und dem Magazin ‚‚Der Spiegel . Diese Studie hat zum Ziel, den Wissensumfang unterschiedlicher Personengruppen in Deutschland um den Holocaust zu analysieren und diesen im Gesamtkontext zu interpretieren.

Leseprobe

Textprobe: 3.2.1, Die Perspektive des Einzelnen: Heinz Mommsen und Dieter Obst gehen der Frage nach, was der einzelne Deutsche an Wissen zum Holocaust sammeln konnte. Ihre erste Feststellung zu dieser Frage ist, dass es gerade diejenigen Personen waren, die mit der Judenfrage existenziell verbunden waren, die Kenntnis von der systematischen Vernichtung der Juden bekommen konnten. Sie belegen dies mit dem Beispiel von Jochen Klepper, dessen Familie direkt von der Judenpolitik betroffen war. Klepper gelang es, aus öffentlichen Reden des NS-Regimes, aus Hitlers Aufruf zur Vernichtung der Juden zur Jahreswende 1941/42 und Hitlers Rede zum neunten Jahrestag der Machtergreifung, den systematischen Charakter des Massenmordes an den Juden zu erkennen. Mommsen und Obst halten fest, dass es Klepper auf Grund seiner höheren Sensibilisierung mit der Judenfrage gelang, dies zu erkennen, während gewöhnliche Deutsche darin nur die Wiederholung antisemitischer Äußerungen sahen. Sie stellen jedoch auch heraus, dass es nicht an Belegen dafür fehle, dass ganz gewöhnliche Deutsche, die sich um Informationen bemühten, diese auch erhielten. Sie erwähnen hierzu das Beispiel Karl Dürkefeldens, dem es innerhalb eines Jahres gelang, Informationen zusammenzustellen und daraus auf die systematische Vernichtung der Juden schloss. Zusammenfassend erläutern sie, dass es für jeden politisch Denkenden genügend Hinweise in der antisemitischen Hetze gab, um auf das Schicksal der Juden schließen zu können, wobei jedoch die industriell betriebene Massenvernichtung jenseits aller Vorstellungen lag. Auch David Bankier ist der Frage nachgegangen, was der einzelne Deutsche wissen konnte. Durch Analyse einer breiten Quellenbasis bestehend aus Tagebüchern von Zeitgenossen und Aussagen von Deutschen und Juden während und nach dem Krieg, kommt er zu dem Schluss, dass weite Kreise der deutschen Bevölkerung, Juden und Nichtjuden, entweder gewusst oder geahnt haben, was in Polen und Russland vor sich ging. So berichtet Bankier von einem Überlebenden, dass dieser im Dezember 1942 zwar nichts über die Vergasungen gewusst habe, aber den Tod der deportierten Juden für möglich gehalten habe. Als mögliche Informationsquelle gibt Bankier Soldaten an, die sich auf Heimaturlaub befanden und somit die Informationen ins Reich transportierten. Außerdem haben Soldaten die Vernichtung der Juden in ihren Briefen in die Heimat trotz Zensur und Androhung von Strafen geschildert. Weiterhin hat Bankier Informationen des britischen Geheimdienstes zusammengestellt, der seine Informationen von ausgewanderten Deutschen oder durch abgefangene Briefe erlangte. In diesem Zusammenhang berichtet Bankier über die Äußerungen des Bankiers Jacob Wallenberg, der nach Schweden auswanderte: ‘Viele Deutsche waren abgestoßen von der Art, wie die Juden aus den deutschen Städten in die Gettos in Polen deportiert wurden. Viele baten mich, bei der schwedischen Regierung ein Wort für einige ihrer Angehörigen für Visas einzulegen, da sie ansonsten in Polen einem schleichenden Tod ausgesetzt wären.’ Zusammenfassend gibt Bankier an, dass viele Informationen über die Vernichtung zirkulierten. Bei der Beurteilung des Wissens müsse jedoch deutlich zwischen den verschiedenen Erkenntnisebenen unterschieden werden. Diejenigen, die selbst Zeugen der Taten wurden, wie z.B. Soldaten, konnten klare Angaben über die Vorgänge machen. Diejenigen jedoch, die solche Informationen bewusst suchten, mussten sich vorstellen, was sich hinter den Gerüchten und Informationen verbarg und konnten so das unglaubliche Ausmaß nicht fassen. Eric Johnsons Abhandlung zum Wissen der Deutschen geht zunächst auf die von David Bankier aufgestellte These ein, dass weite Kreise der Bevölkerung gewusst oder geahnt haben, was in Polen und Russland vor sich ging. Johnsons Ansatzpunkt ist, dass Bankier trotz der Anführung zahlreicher aussagekräftiger Beispiele, wie man Informationen gelangen konnte, nicht nachweisen kann, dass viele oder gar die meisten Deutschen diese Informationen tatsächlich erhalten, verarbeitet und weiter verbreitet hätten. Johnson führt an, dass die von Bankier herangezogenen Quellen ‘nicht besonders detailliert’ seien und nur beweisen, dass manche Deutsche von den Massenmorden gewusst haben und dass viele weitere davon hätten wissen können, wenn sie nur gewollt hätten. In der Folge stellt Johnson die These auf, dass tatsächlich mehrere Millionen deutscher Bürger noch während des Krieges vom Massenmord an den Juden erfahren haben. Unter anderem belegt er dies durch die Auswertung des Tagebuchs des jüdischen Schriftstellers Victor Klemperer, dem es gelang trotz aller Beschränkungen, die ein Jude im deutschen Reich zu erleiden hatte, aus den verschiedensten Quellen detaillierte und genaue Informationen zur systematischen Vernichtung der Juden zusammenzustellen. Auch Peter Longerich hält Einträge in Tagebücher sowie Briefwechsel, Aufzeichnungen über Gerichtsverfahren und Interviews für wichtige Quellen, um festzustellen, welches Wissen einzelne Deutsche ansammeln konnten. Er würdigt die Arbeit Bankiers und stellt heraus, dass Bankiers Ergebnisse belegen, dass einzelne Deutsche während des Krieges Kenntnis von der Massenvernichtung hatten. Er betont jedoch auch, dass es sich mittels dieser Quellen nicht bestimmen lasse, wie viele Menschen diese Informationen hatten bzw. sie ernst nahmen. Longerich nennt eine weitere wichtige Quelle, die belegt, dass in der Bevölkerung über den Judenmord gesprochen wurde: Urteile der Justiz. Mit Beginn des Krieges und dem damit verbundenen Durchsickern von Informationen bezüglich des Vorgehens gegen die Juden kam es innerhalb des Reiches zu zahlreichen Verurteilungen mit Berufung auf das Heimtückegesetz von 1934 bzw. ab 1939 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung, mit deren Hilfe Menschen verurteilt worden sind, die in der Öffentlichkeit über das Schicksal der Juden gesprochen haben. Besondere Aufmerksamkeit widmet Longerich der Betrachtung persönlicher Tagebücher. Er analysiert die bereits erwähnten Tagebücher Victor Klemperers und Karl Dürkefeldens, denen es gelang durch Zusammentragen verschiedener Informationen ein schlüssiges Bild von der Massenvernichtung zu bekommen. Er nennt weiterhin das Beispiel des Tagebuchs der Berliner Journalistin Ruth-Andreas Friedrich, die Informationen über kursierende Gerüchte über Massenerschießungen, Hungertod, Folterungen und Vernichtungslager zusammentrug. Anhand dieses Beispiels verdeutlicht Longerich, dass die eigentliche Schwierigkeit der Zeitgenossen darin bestand, die gesammelten Informationen zu akzeptieren und die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen. In der jüngsten Forschung hat sich Bernward Dörner ebenfalls damit beschäftigt, welches Wissen Einzelpersonen von der Vernichtung der Juden bekommen konnten. Er verfolgt jedoch einen anderen Ansatz als seine Kollegen und stellt die These auf, dass die bekannten Äußerungen aus den diversen Quellen lediglich einen winzigen Ausschnitt aller Sprechakte von 90 Millionen Menschen während des Zweiten Weltkrieges darstellen und als ‘zufällige Auswahl gesehen die Äußerungen der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Vernichtungspolitik dar(stellen).’ Bei der Erläuterung seiner These bezieht sich Dörner auf zahlreiche von ihm zuvor aufgeführte Beispiele aus Tagebüchern, Briefen, Schreiben an NS-Behörden, Justizurteilen etc. an kommt schließlich zu dem Schluss: ‘Der Judenmord war zu einem offenen Geheimnis geworden. Dieser Befund wird durch andere zeitgenössische Quellen bestätigt. Dass nicht die Mehrheit, sondern nur ein erheblicher Teil der Bevölkerung in irgendeiner Form vom Holocaust gewusst haben soll, ist daher fragwürdig. Angesichts der mörderischen Propaganda gegen die Juden, der alliierten Flugblätter und Rundfunkbeiträge und nicht zuletzt de Gerüchtekommunikation scheint den allermeisten Deutschen spätestens im Sommer 1943 zu Bewusstsein gekommen zu sein, dass alle Juden im deutschen Herrschaftsgebiet – darunter auch Frauen und Kinder – sterben sollten. Die Behauptung, die Deutschen hätten von dem Völkermord an den Juden nichts gewusst, ist nicht haltbar.’ Mit dem hier dargestellten Schluss geht Dörner deutlich einen Schritt weiter als die zuvor genannten Autoren. Herrschte doch weitgehend Konsens darüber, dass die dargestellten Tagebucheinträge, Briefe etc. nicht stellvertretend für alle Deutschen gesehen werden können (Mommsen/Obst, Bankier, Johnson, Longerich), betont Dörner geradezu den Stellvertretercharakter der Äußerungen und schließt so darauf, dass ab Frühjahr 1943 die allermeisten Deutschen über die Vernichtung der Juden Bescheid wussten. Innerhalb der Bevölkerung gab es jedoch einzelne Gruppen, die z.B. auf Grund ihrer geografischen Nähe zu den Stätten der Vernichtung oder ihrer unmittelbaren Beteiligung am Prozess der Vernichtung konkret Kenntnis der Massenvernichtung bekamen.

Über den Autor

André Neumann hat von 2005 bis 2009 an der Universität Flensburg Deutsch, Geschichte und Pädagogik studiert. Während des Studiums beschäftigte er sich unter anderem mit der Zeit des Nationalsozialismus, insbesondere mit der Frage, was die deutsche Bevölkerung vom Holocaust gewusst haben konnte. Nach Abschluss des Studiums (Bachelor of Arts und Master of Education) und einem erfolgreich absolviertem Referendariat, arbeitet er nun als Lehrer an einer Gemeinschaftsschule in Elmshorn. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

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