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Geisteswissenschaften

Khatia Kharashvili

Das Marionettenmotiv in den "Nachtwachen" von Bonaventura

ISBN: 978-3-95549-046-1

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Produktart: Buch
Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Als das Werk Nachtwachen 1804 mit dem unbekannten Autor unter Pseudonym Bonaventura erschien, bestand die Gefahr, dass dieses Werk unentdeckt bleiben könnte, da der Verlag meist die Werke von Trivialautoren veröffentlichte. Alleine der Leseneugier Jean Pauls verdanken wir, dass die Nachtwachen nicht als triviales Werk abgestempelt wurden. In einem Brief an seinen Freund Thierot fordert Jean Paul ihn auf, die Nachtwachen von Bonaventura zu lesen: Es ist eine treffliche Nachahmung meines Giannozzo, doch mit vielen Reminiszenzen und Lizenzen zugleich. Somit gelangte das Werk zu den gehobenen Lesekreisen und begeisterte viele große Geister des 19. Jahrhunderts, die es als eines der genialsten Dichtwerke der Romantik einstuften. Mehr noch, die Nachtwachen sind mit ihren Themen und Motiven so modern, dass die Begeisterung des Werkes bis heute anhält. Dies beweist auch die hohe Zahl der Neuauflagen. Nun, da Nachtwachen so große Begeisterung unter den Zeitgenossen fand, war die Neugier groß, wer sich hinter dem Pseudonym Bonaventura versteckte. Die Suche nach dem wahren Autor hat viele Jahre in Anspruch genommen. Das Rätsel wurde endlich durch einen Zufall gegen Ende des 20. Jahrhunderts gelöst. Der meistgesuchte Autor der deutschen Literaturgeschichte ist der Braunschweiger August Klingemann (1777-1831), der als Theaterdirektor gearbeitet und Faust erstaufgeführt hat. Seine Vorliebe fürs Theater spürt man auch in den Nachtwachen. Es sind hier zahlreiche Themen und Motive aus der Theaterwelt mit den Leitfiguren wie Don Juan, Ahasver, Ödipus, Hamlet, König Lear auf eine kunstvolle Weise verflochten. Auch der Erzähler des Werkes, der Nachtwächter, zeigt besondere Neigung für das Theater. Er war mal ein Bänkelsänger, Theaterschauspieler und Marionettendirektor und spielte verschiedene Rollen, bevor er der Nachtwächter wurde. Die Nachtwachen sind so vielschichtig wie wahrscheinlich kein anderes Werk in der deutschen Literatur. Das Werk besteht aus zahlreichen Bezügen, Themen und Motiven. Eine der zentralen Stellen im Werk nimmt das Marionettenmotiv ein, welches zu mehreren Leitmotiven führt. Aus diesem Motivkomplex der Marionette ergibt sich das Thema der vorliegenden Arbeit.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Die mechanische Welt als Maske: Zum Stil der Nachtwachen: In den Nachtwachen wimmelt es von Masken und Larven. Die Aufgabe, die der Autor seinem Titelhelden gibt, ist der Welt und der ganzen Menschheit die Masken abzureißen. Wie ich schon oben sagte, es ist sein Hauptanliegen zu demaskieren und zu desillusionieren und alles und alle bloßzustellen. Diese Bloßstellug der Menschen mündet meistens in dem Marionettenmotiv, das im Werk in verschiedenen Varianten auftritt, mal in einem auf den Marionettenstil verweisenden Bild oder auch in einer konkreten Figur. Im Folgenden soll ein Überblick über den gesamten Werkverlauf gegeben werden, um das Werkverständnis zu vertiefen, aber vor allem um Kreuzgang in seiner Lieblingsbeschäftigung zu verfolgen und den Marionettenstil der Nachtwachen hervorzuheben. In den bruchstückhaften Episoden von Nachtwachen ist eine Vielzahl von epischen Grundformen eingestreut, von denen besonders Monolog und Rede hervorzuheben sind, weil sie durch Ironie meistens eine aufklärerische und demaskierende Funktion haben. Gleich in der 1. NW haben wir eine Rede, die der Nachtwächter auf einem seiner nächtlichen Rundgänge einem hält, der wie er, ein Poeten ist: ‘O du, der du da oben dich herumtreibst, ich verstehe dich wohl, denn ich war einst deinesgleichen! Aber ich habe diese Beschäftigung aufgegeben gegen ein ehrliches Handwerk, das seinen Mann ernährt, und das für denjenigen, der sie darin aufzufinden weiß, doch keineswegs ganz ohne Poesie ist. […] O Freund Poet, wer jetzt leben will, der darf nicht dichten! Ist dir aber das Singen angeboren, und kannst du es durchaus nicht unterlassen, nun so werde Nachtwächter, wie ich, das ist noch der einzige solide Posten wo es bezahlt wird, […] (S. 5). Hier spürt man schon die resignierte Haltung des Nachtwächters. Seine ‘wilde Zeiten’ der Jugend liegen hinter ihm. Das Leben als Künstler und Poet hat er aufgegeben und jetzt singt er nur noch durch sein Nachtwächterhorn. Aber es wird auch deutlich, dass er seine ablehnende Haltung zum Leben aus der Distanz des Humoristen immerhin mit gemäßigter Ironie betrachtet. Einerseits ist diese den Poeten scheinbar auffordernde Rede, Nachtwächter zu werden, die Möglichkeit für Kreuzgang sich vorzustellen. ‘Nachtwächtersein’, so erfahren wir hier, ‘ist nur eine Maske heimlichen Dichterseins.’ Hier wird eines der Generalthemen angesprochen: Desillusionierung und Demaskierung. Er ist nicht mehr der reine Poet, der durch seine Poesie verzaubert, sondern ein Nachtwächter, der durch seinen Hornblasen entzaubert. Andererseits schlägt er durch diesen ironischen Ton zugleich die Kritik an dem Zeitcharakter an, die den Dichter verhungern lässt und ihm die materielle Existenz nimmt. Nach dieser Ironie des Nachtwächters, als er noch einmal zum Poeten hinaufblickt, sieht er dem Schatten des Poeten an der Wand: ‘Er war in einer tragischen Stellung begriffen, die eine Hand in den Haaren, die andre hielt das Blatt, …’ (S. 6) Das Bild des Poeten ist erstarrt. Alles Lebendige in ihm ist gelöscht, als ob da kein Mensch, sondern eine starre Puppe stehen würde. Solche Marionettenperspektive ist sehr oft in dem Werk zu beobachten, wie wir unten an anderen Beispielen sehen werden. Nach der Standrede bläst der Nachtwächter in sein Horn, ruft dem Poeten die Zeit zu und setzt seinen Rundgang fort, um die Zeitkritik mit Kirchenkritik auszubauen. Durch eine Fensternische sieht er dem sterbenden Freigeist zu, den ein Pfaffe mit allen Mitteln zu bekehren versucht. Den Pfaffen, als er aus dem Haus des Sterbenden hinausstürzt, hält Kreuzgang ‘in der Täuschung’ für den Teufel und setzt ihm die Pike auf die Brust. In der 2. NW wird die mit der karikierten Überschärfe dargestellte Szene fortgesetzt, in der die in Teufelslarven maskierten Pfaffen auftreten, die den Leichnam des Freigeistes stehlen wollen und die Kreuzgang mit der parodistisch-ironischen Rede anspricht: ‘Bruder Teufel, fall nicht so hart aus dem Charakter, ich möchte sonst beinah an dir selbst verzweifeln und dich für einen Heiligen halten, zum mindesten für einen Geweihten. - Überlege ich’s indes reiflicher, so muss ich dir wohl eher Glück wünschen, dass du endlich auch das Kreuz verdauet, und von Haus aus ein eingefleischter Teufel, dich dem Scheine nach zu einem Heiligen ausbildest!’ (S. 14). Dieses Gespräch mit den Teufelslarven klingt unecht und gestellt wie die Marionettensprache, und dieser desillusionierend-direkte Ton, der für Marionetten Hanswurst kennzeichnend ist, unterstreicht dies noch mal. Das Vorhaben der Pfaffen misslingt, da der Bruder des Verstorbenen die Leiche mit seinem Säbel verteidigt und einem Pfaffen das Haupt abschlägt, das auch auf dem ‘Kampffeld’ bleibt. In der 3. NW erreicht die Kirchensatire und -kritik die Kulmination, die dann in der Gesellschaftssatire und -kritik endet: ‘Ich hatte bis jetzt nur an einen poetischen Teufel geglaubt, keineswegs aber an den wirklichen. Was den poetischen anbetrifft, so ist es gewiss sehr schade, dass man ihn jetzt so äußerst vernachlässiget, und statt eines absolut bösen Prinzips, lieber die tugendhaften Bösewichter, in Iffland- und Kotzebuescher Manier, vorzieht, in denen der Teufel vermenschlicht, und der Mensch verteufelt erscheint. In einem schwankendem Zeitalter scheut man alles Absolute und Selbstständige deshalb mögen wir denn auch weder echten Spaß, noch echten Ernst, weder echte Tugend noch echte Bosheit mehr leiden. Der Zeitcharakter ist zusammengeflickt und gestoppelt wie eine Narrenjacke, und was das Ärgste dabei ist - der Narr, der darin steckt, möchte ernsthaft erscheinen.’ (S. 17). Auch hier wendet Klingemann die typische Marionetten-Narren-Hanswurst Ansprache an, um den desillusionierenden Charakter zu verstärken. Bemerkenswert ist auch seine meisterhafte Technik zu beobachten. Er kostet satirisch-parodistisch dargestellte Kirchenkritik bis zum letzten aus. Er wendet und dreht es solange, bis die Kirche der Lächerlichkeit ausgeliefert ist. Die gleiche Technik wendet er auch für die Kritik der Ehe an. Denn in der 3. NW wird Kreuzgang der Zeuge einer Ehebruchsszene. In der komödienhaft dargestellten Szene deckt Kreuzgang den Ehebruch auf, indem er die betrügerische Frau dem betrogenen, mechanisch-marionettenhaften Ehemann an die ‘hochnotpeinliche Halsgerichtsordnung’ ausliefert. Zum Schluss hält er eine Rede vom ‘Phiedestal der Themis’ und übernimmt dabei seine traditionelle Rolle des ‚moralischen Narren’, der als Befürworter der Gerechtigkeit die ‘Frivolität des Zeitalters’ angreift. Auf diese Szene werde ich später noch einmal zurückkommen.

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