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- Ästhetische Nachhaltigkeitsbildung: Über den Beitrag der Theaterpädagogik zur Bildung für nachhaltige Entwicklung
Geisteswissenschaften
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Verlag:
Bachelor + Master Publishing
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Ausgehend von der Erfahrung des Autors, dass das Medium Theater allzu schnell als Heilmittel für alle möglichen außerästhetischen Probleme instrumentalisiert wird, begibt er sich ganz bewusst auf die Suche nach den Bildungschancen und Bildungsprinzipien, die sich aus der zweckfreien und handelnden Auseinandersetzung von Menschen mit der spezifischen Materialität des Theaters ergeben und die zugleich einer ‘Bildung für nachhaltige Entwicklung’ zu eigen sind. Unter Nutzung einer quantitativen Inhaltsanalyse deckt der Autor Bildungschancen und Bildungsprinzipien auf, die sowohl der systemisch-konstruktivistischen Didaktik, der ‘Bildung für nachhaltige Entwicklung’ als auch der ästhetischen Bildung inhärent sind. Als zentral für eine gelingende Ästhetische Nachhaltigkeitsbildung erweist sich dabei die ergebnisoffene Auseinandersetzung der Spieler mit einem für ‘Bildung für nachhaltige Entwicklung’ geeigneten Thema innerhalb des ästhetischen Raums. Die dabei gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse werden in einem zweiten Prozessschritt ästhetisch bearbeitet und mit dem Ziel einer abschließenden öffentlichen Präsentation inszeniert. Dabei verweist der Autor in seinem Buch immer wieder darauf, dass es sich hierbei nur um Möglichkeiten und Chancen einer Ästhetischen Nachhaltigkeitsbildung handelt, die niemals erzeugt, sondern im pädagogischen Handeln nur ermöglicht werden können.
Textprobe: Kapitel 4.2, Ästhetisch bildende Aspekte theatraler Gestaltung: 4.2.1, Der ästhetische Raum: Innerhalb des Prozesses der theatralen Gestaltung schaffen sich die Spieler eine, im Spiel imaginierte, zweite Wirklichkeit, die eine andere Form des Erlebens ermöglicht. Diese zweite Wirklichkeit, die einerseits Teil der ersten Wirklichkeit und zugleich deren Abbild ist, erzeugt den ästhetischen Raum. Der ästhetische Raum ist ein individueller Spielraum mit Aufforderungscharakter, ein Zwischenraum zwischen ‘Alltagskompetenzen einerseits und dem Suspens der Verantwortung für die Folgen unseres Tuns andererseits’. In diesem Zwischenraum können neue Erfahrungen gemacht werden ‘bei denen Zufall und Kontingenz eine wichtige Rolle spielen’ und die zugleich in die Alltagswirklichkeit zurückwirken können. Hier entfaltet sich ein aus Gefühl und Fantasie geformter Raum, welcher von einer unmittelbar sinnlichen Erfahrbarkeit und einem leibzentrierten Raumgefühl bestimmt ist. Im ästhetischen Raum findet eine Verdoppelung statt, denn dieser Raum wird einerseits zur Vorstellung gebracht und gestaltet und andererseits wird er selbst zur Vorstellung, indem er gestaltet wird. Er ist auch ein wirklichkeitserzeugender Raum, in dem neue Wirklichkeiten erzeugt, ausprobiert und reflektiert werden können. Als Möglichkeitsraum stellt der ästhetische Raum soziale Realität und künstliche Wirklichkeit als zeitgleich existierende Pole einer Situation nebeneinander, macht die Beziehungen zwischen ihnen erfahrbar und ermöglicht so auf einer körpergebundenen Ebene Differenzerfahrungen und die Verhandlung von Realitäten. Als Anschauungsraum verdichtet der ästhetische Raum unter Zuhilfenahme der Einbildungskraft getrennte Zeiten und Räume, um sie hier zur Anschauung zu bringen. Des Weiteren ist der ästhetische Raum auch ein Ausdrucksraum, dem der Mensch nicht nur ausgesetzt ist, sondern den er erleben, kennenlernen und wo er sich handelnd zum Ausdruck bringen kann. Dabei erfährt er Dinge und Menschen immer wieder anders und muss sich selbst immer wieder körperlich neu (er-)finden und wahrnehmen, wodurch er sich systematisch in seiner Subjektivität, Leiblichkeit, Kulturalität, Historizität, Sozialität und Raumzeitlichkeit erlebt. Nicht zuletzt ist der ästhetische Raum auch ein Schutzraum, in dem die Ansprüche des Alltags nicht unmittelbar auf die Haltungen und Handlungsweisen der Menschen durchschlagen, so dass diese experimentell erkundet, neu besetzt, verändert und überprüft werden können. In diesem sanktions- und bewertungsfreien Raum besteht die Möglichkeit, tradiertes Alltagshandeln zu verlassen, um neues Handeln und Verhalten auszuprobieren. Dazu gehört auch das Spiel mit dem Asozialen, Verbotenen und Unterdrücktem. Da der ästhetische Raum handelnd erlebt, erfahren, erforscht und verändert werden kann, ermöglicht er ganzheitliche Bildungsprozesse. Neben kognitiven Erfahrungen, sind es insbesondere die sich aus Differenzerfahrungen ergebenden Wirkungen, die hier die Stärkung und Entwicklung von Wahrnehmungs- und Imaginationsfähigkeit, Ausdrucks- und Sozialverhalten sowie der Fähigkeit zur Selbstreflexivität der Spieler fördern. [Bei der Erfahrung des] Dazwischen […] handelt es sich um einen Modus von Erfahrung, der nicht nur intra-subjektiv, sondern gleichzeitig immer schon intersubjektiv stattfindet und damit die Konstitution des Subjekts mit der Konstitution eines Gegenübers verbindet. Wegen ihrer besonderen Bedeutung für ästhetische Bildungsprozesse werden die von Ulrike HENTSCHEL erarbeiteten Kategorien an Doppelverhältnissen im Folgenden näher vorgestellt. 4.2.1.1, Differenzerfahrung zwischen Spieler und Figur: Diese Differenzerfahrung entsteht aus der Hin- und Herbewegung des Spielers zwischen seiner eigen Identität und der zu spielenden Figur. In diesem Wechsel erlebt er sich zugleich als Subjekt und Objekt eines gestalterischen Prozesses, als ein ‘Ich bin ich und doch bin ich die Figur’. In diesem Prozess nähert sich der Spieler mit seiner eigenen Persönlichkeit, mit seinem Temperament, Charakter, seinen Einstellungen, Interessen, Wertorientierungen und Selbstkonzepten dem Fremden seiner Spielfigur an, die ihm ebenfalls als Persönlichkeit gegenüber tritt. In dieser Begegnung kann sich der Spieler mit der Figur vergleichen. Findet er dabei seine Persönlichkeitsmerkmale wieder, so erfahren diese eine Bestätigung. Wird dagegen die Figur als widerständig empfunden, ist der Spieler gezwungen sich mit den Vorstellungen und Haltungen der Figur auseinander zusetzen, ihre Perspektive einzunehmen, um dann im Schutz seiner Figur neue Handlungen und Verhaltensweisen ausprobieren zu können. Dabei lassen ihm die dadurch hervorgerufenen Reaktionen seiner Mitspieler erfahren, wie das erprobte Verhalten bei anderen ankommt. Die sich aus der Differenz zwischen Spieler-Ich und Figuren-Ich sowie aus den Interaktionen von Figur und Gruppe ergebenden Erfahrungen können den Spieler in seiner Persönlichkeit, seinem Selbstbewusstsein stärken und ihm neue Perspektiven und Handlungsalternativen eröffnen. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Spieler auf diese Doppelerfahrung einlassen, sie erleben, verkörpern und reflektieren. 4.2.1.2, Differenzerfahrung zwischen Gestalten und Erleben: Die doppelte Anwesenheit von Spieler und Figur wirkt sich auch auf die ‘Erfahrung des Doppels von Gestaltung und Erleben’ aus. Um ihrer Figur Gestalt geben zu können, müssen die Spieler lernen, ihren Körper als verwandelbares Objekt zu betrachten und zu verändern. Indem sie so nach einer äußeren Form für die Gestaltung ihrer Figur suchen, erleben sie sich in dem dabei entstehenden Körper. Diese Bewegung zwischen subjektivem Erleben und dem ‘Bemühen um Objektivierung dieses subjektiven Ausdrucks’ zu seiner Gestaltung, erfordert einen permanenten Perspektivenwechsel. Im Bewusstwerden dieser Erfahrung können die Spieler den Zusammenhang zwischen äußerem Handeln und innerem Erleben erfahren. Indem sie sich innerhalb einer subjektiven Suchbewegung zwischen der realen und der künstlichen Wirklichkeit erproben, entwickeln sie die Fähigkeit, unterschiedliche Wirklichkeiten zu konstituieren, nebeneinander bestehen zu lassen und die dabei erlebte Ambiguität auszuhalten.
Lars Paschold studierte Forstwirtschaft in Göttingen, Umwelt und Bildung an der Universität Rostock und Theaterpädagogik an der Theaterakademie Heidelberg. In seiner Arbeit als Theater- und Nachhaltigkeitspädagoge sucht er immer wieder nach Möglichkeiten, Fragen einer zukunftsfähigen Entwicklung mit den ästhetischen Möglichkeiten des Theaters zu bearbeiten, zu erproben und zu veröffentlichen. Die dabei gemachten Erfahrungen motivierten ihn, das Konzept der Ästhetischen Nachhaltigkeitsbildung zu entwickeln und in dem vorliegenden Buch darzustellen. Lars Paschold ist außerdem als Dozent tätig und hält Seminare und Vorträge.