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- Die Erfindung des deutschen Kapitalismus: Shareholder Value und die deutsche Wirtschaftselite
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Zwischen 1989 und 2009 entstand das, was wir heute den globalen Finanzmarkt nennen: ein amerikanisch geprägter Marktplatz mit Investoren, die Anteile an nationalen Unternehmen weltweit kaufen. Viele Beobachter der Zeit fürchteten, dass mit der Globalisierung der Aktienmärkte auch eine Homogenisierung der Wirtschaftskulturen einherginge. Reizwort und Symbol für die Furcht vor Amerikanisierung des deutschen Kapitalismus wurde die US-Managementmethode ‘Shareholder Value’. Das vorliegende Buch vertritt entgegen des Tenors der damaligen Massenmedien die These, dass der deutsche Kapitalismus in den 1990er und 2000ern nicht durch die Globalisierung bedroht wurde, sondern sich vielmehr selbst in dieser Zeit geschaffen hat. Shareholder Value wird als Praxis wirtschaftlichen Handelns und als etwas Verhandelbares begriffen. Damit wird es kulturhistorisch interessant zu wissen, wie die deutschen Funktionsträger der Wirtschaft mit aktionärsorientierter Unternehmensführung umgegangen sind. Zu erst wird aufgezeigt, welche Konzeptionen eines ‘deutschen Kapitalismus’ in der Literatur auftauchen. Dann wird der Begriff ‘Wirtschaftskultur’ geschärft. Im Hauptteil vollzieht die Studie die Genese der Managmentmethode Shareholder Value in den USA nach. Anschließend wird die Debatte der deutschen Wirtschaftselite um den Begriff zwischen 1989 und 2009 beleuchtet und die Zeit in Phasen eingeteilt. Dabei kommt heraus, dass der Begriff am heißesten Ende der 1990er Jahre debattiert wurde. Danach ebbte die Verwendung bis zum völligen Verschwinden ab. Drei Argumentationsmotive tauchten zum Zusammenhang zwischen Shareholder Value und der deutschen Wirtschaftsordnung auf: Shareholder Value als revolutionäre Kraft, als Reformansatz und als bloß technische Neuerung, die es zu integrieren gelte. Für die Überprüfung der These stellt die Debattenanalyse drei Ergebnisse heraus: 1. Journalisten und Wirtschaftsbosse haben Anfang der 1990er die Kluft zwischen angeblich deutscher und angeblich amerikanischer Unternehmensführung nicht als so stark empfunden. Ab Ende der 1990er Jahre hingegen wurde im genauen Gegenteil die Unterschiedlichkeit zweier Wirtschaftskulturen proklamiert über die Schöpfung der ‘Deutschland AG’ 2. Die Konstruktion der Selbstbilder der deutschen Wirtschaftselite in dem Zeitraum hing stark von einem Wandel der Fremdbilder ab. Die deutsche Wirtschaftsordnung wurde in Assoziation zu der amerikanischen, anfangs auch der japanischen Ordnung gedacht. Dieser Modus der Identitätsbestimmung erklärt den Wandeln der deutschen Selbstbilder. 3. Die Debatte zeigt, dass die deutsche Wirtschaftselite zwischen 1989 und 2009 vielmehr einen geeigneten Kapitalismus sucht, als von einem bestimmt zu werden. Zu glauben, dass der Ausgriff amerikanisch-geprägter Finanzmärkte auf die deutschen Unternehmen als Einbahnstraßen-Amerikanisierung zu verstehen sei, greift zu kurz.
Textprobe: Kapitel 3.3.2.2, Uncle Sam kommt - Bedeutungszunahme internationaler Investoren: ‘Ade Modell Deutschland - es lebe der Shareholder Value’ titelte die WirtschaftsWoche 1998, dem Jahr, in dem neben der Fusion von Daimler-Benz mit Chrysler auch noch zahlreiche andere Unternehmenszusammenschlüsse stattfanden (Burgmaier et al. 1998.50.82, S. 82). Die WirtschaftsWoche zitierte den Economist (‘Revolution’) und die Financial Times (‘spektakulärer Wandel’) und sprach selbst vom ‘Abschied vom rheinischen Harmoniekapitalismus’ angesichts der Fusionen und Unternehmensausgliederungen in Deutschland 1998: ‘Die Richtung des Umbaus steht fest: Die deutschen Unternehmen, bislang stark von den Interessen der Mitarbeiter und der politischen Kaste geprägt, richten sich nach den Wünschen der Anleger aus. ‘Die Logik der deutschen Geschäftswelt ändert sich’, so die Einschätzung von Roger Hirst, Geschäftsführer Aktienresearch der Dresdner Kleinworth Benson, ‘es wird schlicht angelsächsischer.’ (Burgmaier et al. 1998.50.82, S. 82ff). Eine Reihe von Artikeln, die sich mit amerikanischen Einflüssen auf die deutsche Wirtschaft durch Verbreitung des Shareholder Value Gedankens auseinandersetzten, diskutierten den Einfluss von großen, institutionellen Anlegern, wie Investment-, Renten- und vor allem Pensionsfonds. Wie im Folgenden ersichtlich wird, wurden institutionelle (und meist ausländische) Investoren als jene Akteure in der deutschen Wirtschaft präsentiert, die maßgeblich für Shareholder Value eintraten. Die Wirtschaftsjournalisten bewerteten ihren Einfluss anfangs positiv und im Verlauf der Jahre immer negativer. Konstant blieb in den Reportagen über die Tätigkeit der Fonds jedoch ein gewisses Erschaudern angesichts der Finanzkraft, die hinter den Großanlegern steckte. 1995 titelte die Capital ‘Die unheimliche Macht’ (Antrecht und Enzweiler 1995.7.42). Unheimlich erschien dem Autor zum einen, dass ein 29-jähriger Analyst des amerikanischen Fonds cref (College Retirement Equities Fund) über 140 Milliarden Dollar Anlagevermögen wachte. Zum anderen hätten ‘Briten und Amerikaner weite Teile der Industrie unter Kontrolle gebracht’ und das ‘fast unbemerkt’ (Antrecht und Enzweiler 1995.7.42, S. 42). Dies wurde von dem Wirtschaftsjournalisten der Capital aber nicht negativ bewertet, da er dadurch verkrustete Strukturen aufbrechen sah: ‘[Die Fonds] reiben sich massiv an der selbstherrlichen Allianz aus Vorständen, Aufsichtsräten und Depotbanken.’ (Antrecht und Enzweiler 1995.7.42, S. 43). So wurde RWE kritisiert wegen dessen Mehrfachstimmrechtsbestimmungen, VW wegen der Staatsbeteiligung, Bayer wegen seiner Konzernstruktur und MAN wegen dessen Informationspolitik. Außerdem versicherte ein cref-Analyst dem Journalisten: ‘Wir sind keine Aggressoren, aber wir lassen die Unternehmen wissen, wie sehr uns die unterentwickelte Shareholder-Value-Kultur beunruhigt.’ (Antrecht und Enzweiler 1995.7.42, S. 43). 1995 rief ein Artikel des manager magazin aus: ‘Uncle Sam kommt’ (Gaulke 1995.5.212, S. 212). Die Ausdehnung des Engagements von Pensionsfonds über den Globus Mitte der 1990er Jahre wurde als politischer Akt aufgefasst: ‘Nachdem nun in Corporate America die Wende zum Besseren eingeleitet ist, hat das sendungsbewußte Land schon ein neues Ziel entdeckt: den Rest der Welt. Arbeitsminister Robert Reich und seine Pensionsfonds-Verantwortliche Olena Berg, vormals Calpers-Vorstand [größter amerikanischer Pensionsfond damals], forderten im Frühjahr 1994 die Pensionsfonds auf, nun auch ihre [Stimm-]Rechte bei internationalen Aktien wahrzunehmen.’ (Gaulke 1995.5.212, S. 212). Nicht so diplomatisch, wie der oben genannte cref-Analyst, äußerte sich Anne Hansen, Deputy Director beim Council of Institutional Investors (CII) in Washington, der 1985 gegründeten Vereinigung von rund 100 Pensionsfonds mit einem Anlagevolumen von mehr als 800 Milliarden Dollar, über ihre Selbstwahrnehmung: ‘Wir sind die Raider der 1990er Jahre. […] Unsere Kapitalkraft macht die Vorstände nervös.’ (Gaulke 1995.5.212, S. 212). 1997 waren die Anlagevolumen der Großinvestoren Amerikas, maßgeblich aufgrund demographischer Faktoren und der Hausse an der Wall Street, auf bis dahin unvorstellbare Summen angewachsen. Nie zuvor konnten so wenige Menschen, so viel Geld kontrollieren. Nicht mehr von ‘unheimlicher’, sondern von ‘schierer Macht’ wurde im Titel gesprochen: ‘Die schiere Macht. Internationale Fonds gegen deutsche Manager.’ (Balzer und Nölting 1997.8.72, S. 72ff). Deutsche Manager sahen sich, dem Artikel zufolge, zunehmend offener Kritik ausländischer Manager ausgesetzt, die zudem nicht nur aus den USA kommen würde, sondern auch aus anderen Ländern, wie den Niederlanden (ABN Amro Bank). ‘Offen oder verdeckt kämpfen sogenannte institutionelle Investoren wie der New Yorker Pensionsfonds TIAA-CREF (325 Milliarden Mark Anlagevolumen), der Publikumsfonds Fidelity (860 Milliarden Mark) oder die Capital Group (510 Milliarden Mark) für eine neue Aktienkultur auf dem Alten Kontinent.’ Besonders beeindruckt zeigte der manager magazin Journalist sich von der scheinbaren Unaufhaltsamkeit der Entwicklung Deutschlands hin zu einer Shareholder Value Republik. Die Fonds wurden dargestellt als angriffslustige, strategisch planende Akteure (‘Phalanx kapitalkräftiger Großinvestoren’), die mit Dreistufenplänen (Rasterfahndung nach schwachen Firmen, Forderungsbrief an den Vorstand, Sanktionen) Shareholder Value Politik ‘auf dem alten Kontinent’ erzwingen würden. Der Titel des Artikels lautete zwar ‘Internationale Fonds gegen deutsche Manager’, doch die eigentliche Kernaussage war, dass fernab unterschiedlicher, national geprägter Wirtschaftskulturen auf höherer Ebene eine neue Art Kapitalismus entstehe, der sich keine lokale Wirtschaftsordnung entziehen könne: ‘Etliche Topmanager haben sich auf die neuen Realitäten bereits eingestellt, manche sperren sich noch. Aber keiner kann im Zeitalter weltweit offener Finanzmärkte der Macht der institutionellen Anleger entkommen. Deutschland, so scheint es, ist auf dem Weg in die dritte Etappe des Kapitalismus. Erst hatten die Eigentümer das Sagen in den Unternehmen. Dann übernahmen angestellte Topmanager die Regie. Nun geben Großinvestoren den Ton an.’ (Balzer und Nölting 1997.8.72, S. 72ff). Shareholder Value Politik ist in dieser Deutung etwas von außen und von oben Kommendes, was nicht mehr unmittelbar von nationalen Akteuren zu eigenen Zwecken nutzbar gemacht werden kann. Vor allem unterstützte die entworfene Vision eines Investorenkapitalismus das Bild, dass Shareholder Value Unternehmensführung zwangsläufig kommen würde und alternativlos sei. Durch die Berichterstattung über weltweit agierende, aktienbasierte Fonds fand ein Perspektivenwechsel zu Shareholder Value Unternehmensführung statt: vom nationalen Werkzeug zu global züngelnder Peitsche. Die WirtschaftsWoche sprach 1998 von ‘…Topmanager[n], getrieben vom Aktienmarkt und vorwärtsgepeitscht von der Shareholder-Value-Maximierung institutioneller Anleger […]. Wer nicht selbst frißt, der wird gefressen im unerbittlichen Wettbewerb.’ (WirtschaftsWoche 1998.21.50). Im Jahr 2000 kommentierte ein manager magazin Reporter den Einfluss institutioneller Investoren wesentlich wertender und kritischer und stellte Shareholder Value als ‘Tempomacher’ dar (Hirn 2000.6.124, S. 124ff). Die Frage nach der kulturellen Herkunft von Unternehmenspolitik geriet in den Hintergrund. In dem Artikel ging es um Zwänge und Geschwindigkeit. Unter dem Titel ‘Schneller, kürzer, besser?’ wurde die hohe Geschwindigkeit beklagt, mit der Wirtschaftsakteure in der Weltwirtschaft handeln müssten: ‘Und schließlich wären da noch die Finanzmärkte und ihre gnadenlosen Akteure. Analysten, Investmentbanker und Venture-Capitalists machen permanent Druck. In Analysten-Meetings und auf Road-Shows werden die Vorstände ‘gegrillt’, wie es wenig fein, aber bezeichnend in der Sprache der Finanzwelt heißt. Quartalsberichte sind zum Maß der Dinge geworden. Wer zum Quartalsende schlechte Zahlen liefert, wird mit Kursverlust bestraft. Eine gute Mittelfriststrategie hilft nicht. Es zählt das Heute, nicht das Morgen.’ (Hirn 2000.6.124, S. 124ff). Beachtlich ist das drastische Vokabular, welches vom manager magazin Journalisten verwendet wurde (‘gnadenlose Akteure’), um die gewachsene Bedeutung der Finanzmärkte zu beschreiben. Hierin spiegelt sich – wie der Artikel ebenfalls verriet – die martialische Rhetorik der Kritisierten selbst wider (Vorstände auf Geschäftsergebnisse und Zielvorstellungen zu befragen, würden sie ‘grillen’ nennen). Shareholder Value wurde als unternehmerische Logik inmitten eines ‘Turbo-Kapitalismus’ präsentiert, als Logik eines irgendwie zusammenhängenden Netzes der Hatz: ‘Globalisierung, Hyperwettbewerb, Internet, Shareholder-Value-Denken vieles ist da in den vergangenen Jahren zusammengekommen, teils im Zusammenhang stehend, teils in eigenständiger Entwicklung.’ (Hirn 2000.6.124, S. 124ff).
Moritz Paul Sander, M.A., wurde 1984 in Hamburg geboren. Sein Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Politik und Soziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg schloss der Autor im Jahre 20012 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Während des Studiums legte der Autor seinen Fokus auf das Finanzsystem in seiner historischen und politischen Dimension. Motiviert durch einen Auslandsaufenthalt an der University of Nottingham und der dortigen School of Politics, verfolgte er die Entwicklung der Subprime-Finanzkrise seit 2007 mit wachsendem akademischem Interesse, welches letztlich in das vorliegende Buch mündete.
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