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- Erkenntnistheoretische Grundlagen der klassischen Physik: Band I: Klassische Mechanik und Relativitätstheorie
Gesellschaft / Kultur
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 264
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das tradierte Realitätsverständnis der Naturwissenschaften setzt beobachtungsunabhängig vorhandene Eigenschaften der Gegenstände voraus und ist somit nicht vereinbar mit den Entdeckungen der modernen Physik, die auf eine engere Verzahnung von Subjekt und Objekt im Erfahrungsvorgang hinweisen. Es ist deshalb ein grundsätzliches Überdenken der jeder Beobachtung zugrunde liegenden Subjekt-Objekt-Relation erforderlich. Der Autor will dazu mit seiner Studienreihe zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik beitragen. Die Studienreihe bezieht in ihre Analysen auch klassische Mechanik, Mathematik und Logik ein. Denn sie geht davon aus, dass erst eine saubere Aufarbeitung der Subjekt-Objekt-Frage in den genannten Wissenschaftszweigen die Voraussetzungen für eine Lösung der erkenntnistheoretischen Problematik der modernen Physik schafft. Der vorliegende Band I ist ein in sich abgeschlossener Text, der die erwähnte Thematik für die klassische Mechanik und die Relativitätstheorie behandelt. Die Homepage zur Studienreihe mit Leseproben aus allen drei bisher erschienenen Publikationen findet sich unter: http://www.erkenntnistheorie.at
Textprobe: 3.8, Die Konstitution der Gleichzeitigkeit: Befassen wir uns nun im Detail mit der von Einstein aufgeworfenen Frage nach den Folgen, die aus der Existenz eines Objekts mit beobachterunabhängiger Geschwindigkeit für unser Bewegungsparadigma resultieren. Einstein nähert sich diesem allgemeinen Problem, indem er untersucht, wie sich das Vorhandensein eines derartigen Objekts auf den Begriff der ‘Gleichzeitigkeit’ auswirkt, welcher einen der beiden Grundpfeiler des vom Galileischen Bewegungsmodell vorausgesetzten Konzepts der absoluten Zeit bildet. Schon am Beginn unserer Auseinandersetzung mit dem Zeitbegriff der klassischen Physik stellten wir bereits weiter oben fest, dass bei der Erscheinung der absoluten Zeit zwei Hauptaspekte zu unterscheiden sind: zum einen ihre vom jeweiligen Bewegungszustand des Beobachters unabhängige Verlaufsgeschwindigkeit und zum anderen das Phänomen der Gleichzeitigkeit. Da wir uns bisher ausschließlich mit der Konstitution des ersten der beiden Erscheinungsmuster von absoluter Zeit befasst haben, ist zunächst zu präzisieren, was man unter dem nunmehr zu behandelnden Gleichzeitigkeitsaspekt zu verstehen hat. Gleichzeitigkeit im subjektiven Zeiterleben und auf der Ebene der Messung objektiver Zeit tritt in zwei unmittelbar mit einander zusammenhängenden Spielarten auf: - Zum einen wird damit die zeitliche Identität ein und desselben Ereignisses für unterschiedliche Beobachter, insbesondere auch für relativ zu einander bewegte Akteure bezeichnet. Das betreffende Ereignis findet also für alle handelnden Subjekte zum selben Zeitpunkt statt. - Zum anderen ist damit gemeint, dass zwei unterschiedliche Ereignisse, die für einen Beobachter den gleichen Zeitpunkt haben, auch für alle anderen relativ zu einander ruhenden oder bewegten Beobachter gleichzeitig sind. Im Zentrum von Einsteins Analyse der Gleichzeitigkeit steht die zweite dieser beiden eng mit einander verknüpften Varianten des Gleichzeitigkeitsbegriffes, und so hat sich auch unsere transzendental-pragmatistische Betrachtung auf den zuletzt angeführten Aspekt zu konzentrieren. Wir werden uns dabei diesem Begriff in zwei Anläufen nähern. Zunächst wollen wir uns um seine transzendentale Grundlegung aus der Perspektive der klassischen Mechanik bemühen, um anschließend danach zu fragen, wie sich Gleichzeitigkeit aus der Sicht der speziellen Relativitätstheorie konstituiert. Bei dieser Gegenüberstellung müssen ganz unterschiedliche Positionen zu den beiden mit einander verglichenen Theorien eingenommen werden. Während nämlich Einstein das Gleichzeitigkeitsproblem in den Mittelpunkt seines Ansatzes stellt, ja genaugenommen selbst eine transzendentale Untersuchung dieser Frage durchführt, wurde der zentrale Stellenwert des Phänomens der Gleichzeitigkeit in der klassischen Mechanik nicht erkannt, und es gibt auch nicht einmal Ansätze zu einer Konstitutionsanalyse jener Erscheinung. Unser Versuch einer transzendentalen Fundierung des Gleichzeitigkeitsbegriffes der vorrelativistischen Physik hat daher rein hypothetischen Charakter, läuft er doch auf eine Rekonstruktion von Bedeutungszusammenhängen hinaus, die als solche nie explizit gemacht wurden und bloß ein Schattendasein in Gestalt von unausgesprochenen Annahmen führten. Da es sich bei der hier interessierenden Form von Gleichzeitigkeit um den synchronen Zeitverlauf an unterschiedlichen Punkten des Raumes handelt, ist zu Beginn unseres Versuches einer Deutung des fraglichen Phänomens auf dem Boden der klassischen Mechanik zu fragen, wieso die Zeit in den einzelnen Punkten des Raumes denn überhaupt gesondert vergeht, bzw. warum sie nicht für den Gesamtraum als solchen verläuft. Die Antwort ist einfach, wenn wir uns daran erinnern, daß die Konstitution von Zeit an ein sich als ruhend erlebendes Subjekt gebunden ist: Der Standort eines solchen Subjekts kann niemals der Gesamtraum sein, sondern immer nur der einzelne Punkt. Denn dieses durch sein Ruhen die Zeit konstituierende Subjekt ist identisch mit dem, welches mit seiner Bewegung den Raum erzeugt. Und wie wir bereits zeigten, nimmt diese Bewegung ihren Ausgang stets von jenem Ort, der uns als Punkt erscheint. Die Zeit verbindet sich daher nicht mit dem Raum insgesamt, sondern immer nur mit dessen einzelnen Punkten, in denen sie dann auch verläuft. Wenn aber die im Raum universell vorhandene Zeit nur in jedem einzelnen seiner Punkte konstituiert werden kann, müssen alle Punkte dieses Raumes fiktive Subjekte sein, welche dieses Geschäft der Zeiterzeugung autonom besorgen. Das konsequent zu Ende gedachte Konzept eines Raumes, der mit einer in all seinen Punkten gleichmäßig fortschreitenden Zeit verknüpft ist, führt somit unweigerlich zu der Vorstellung, all diese Punkte seien heimliche Subjekte, welche als eine Art von Zeitmonaden je für sich und doch völlig synchron die Zeit des Raumes konstituieren. Der Begriff der Monade kommt aus dem Griechischen und bedeutet eigentlich ‘Einheit’. In der antiken Philosophie fungierte er als allgemeine Bezeichnung für alles, was einfach und unteilbar ist, wie etwa die Idee bei Platon, oder das Atom bei Demokrit und Epikur. In der Neuzeit nahmen bedeutende Denker wie Giordano Bruno (1548 bis 1600) und später auch G.W. Leibniz (1646 bis 1716) diesen Ansatz wieder auf und entfalteten auf seiner Basis ihre großen idealistischen Systeme. Sie versuchten mittels des genannten Begriffes darzulegen, wie sich Gott, bzw. die Weltseele, nicht bloß in jedem Menschen sondern auch in allen einzelnen Dingen widerspiegelt. Jede Monade ist damit für sie ‘eine individuelle Daseinsform des Göttlichen Seins, eine endliche Existenzform der unendlichen Essenz.’ Wenn hier an dieses Konzept der Monade angeknüpft wird, dann geschieht dies natürlich nicht im Sinne des objektiven Idealismus eines Bruno oder Leibniz, und es ist auch keine Wiederbelebung des spinozistischen Pantheismus beabsichtigt. Denn längst ist offensichtlich geworden, daß die an den Objekten wahrgenommene Welt-seele nur eine Projektion des gesellschaftlichen Handelns in seiner transzendentalen Funktion darstellt. Im Unterschied zur Philosophie des Idealismus haben wir gelernt, dass dem Objekt (in unserem Fall dem Punkt) die Seele nicht durch den lieben Gott eingehaucht wird, sondern durch das erkennende Subjekt selbst, welches in Anwendung des Kommunikationsschemas das wahrgenommene Gegenüber nach dem Muster eines Interaktionspartners vorstellt. Sprechen wir daher von der geheimen Subjektivität des Objekts (im vorliegenden Fall von jener des Raumpunktes), dann haben wir dabei nicht die Illusion, etwas vom wahren (eventuell gar göttlichen) Wesen dieses Objektes (bzw. Punktes) an sich zu offenbaren, sondern formulieren bloß ein vom Handelnden selbst in die Erkenntnis eingebrachtes Axiom, gewissermaßen das oberste Apriori aller Objekterkenntnis. Hinter der Bezeichnung der Punkte des Raumes als Zeitmonaden versteckt sich somit nicht die Behauptung, dass jeder Punkt zeitkonstitutives Subjekt ‘ist’. Die These ist vielmehr die, dass die klassische Mechanik immer dann, wenn sie den einzelnen Punkten des Raumes bestimmte Zeitverläufe zuordnet (und genau das geschieht bei jeder Rede von der ‘Gleichzeitigkeit’), notwendigerweise die implizite Annahme einer solchen zeitkonstitutiven Funktion der Punkte trifft, diese Punkte somit als virtuelle Akteure auffasst. Und nur weil sie beim Zusammendenken von Raum und Zeit unweigerlich von dieser impliziten Unterstellung ausgeht, entsteht überhaupt erst das in der Folge zu behandelnde Problem der Gleichzeitigkeit. Was wir vom Konzept der Monade für unsere Problemstellung rezipieren, sind bloß die drei folgenden strukturellen Momente: Erstens seinen Bezug auf die kleinsten Bestandteile des Objektbereichs, über welchen sich die Verbindung zu unseren Punkten des Raumes herstellen lässt. Zweitens den Gedanken, dass diese untersten Einheiten des Raumes nur deshalb in den universellen Zeitverlauf integriert sind, weil wir sie, genau wie alle anderen uns erscheinenden Gegenstände, wenn auch nicht als reale so doch immerhin als virtuelle Subjekte begreifen. Drittens aber gilt uns der Begriff der Monade als eine der wichtigsten Ausprägungen jenes Konzepts von isolierter und doch vergesellschafteter Subjektivität, welches nicht nur der mit den Namen Hobbes und Smith verbundenen Gesellschaftstheorie des aufsteigenden Kapitalismus zugrunde lag, sondern auch das unausgesprochene Fundament aller Erklärungsbemühungen der Newtonschen Mechanik bildet. Denn die zwischen den Körpern unsichtbar wirkenden Kräfte sind nichts als Abziehbilder der individuellen Strebungen von Warenproduzenten, welche der Markt zwar einerseits von einander trennt, andererseits jedoch in gesetzmäßige Wechselwirkung versetzt. Es ist daher legitim, den Gleichzeitigkeitsbegriff der klassischen Physik mittels eines Modells zu rekonstruieren, welches das synchrone Fortschreiten der Zeit in den einzelnen Punkten des Raumes nach dem Muster dieser nur hinterrücks stattfindenden Vergesellschaftung des bürgerlichen Individuums begreift.
Karl Czasny wurde 1949 in Wien geboren und studierte an der hiesigen Universität die Fächer Philosophie, Soziologie, Psychologie und Statistik. Nach einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in West-Berlin kehrte er wieder nach Österreich zurück und arbeitete hier als Soziologe in verschiedenen Bereichen der angewandten Sozialforschung, wobei er sich ab 1984 zunehmend auf stadtsoziologische Fragestellungen konzentrierte. Seit 2013 ist er Pensionist. Nachdem er in seiner Dissertation die Thematik einer nicht-objektivistischen Methodologie der Sozialwissenschaften behandelt hatte, begann er sich in seiner Freizeit schon in den achtziger Jahren mit erkenntnistheoretischen Problemen der Naturwissenschaften auseinanderzusetzen. Seit 1994 arbeitet er zu seinem ganz privaten Vergnügen, das heißt ohne Zeit- und Kostendruck, nur von seinem persönlichen Forschungsinteresse getrieben, an einer Kritik des Objektivismus in der Physik.
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