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- Als die Kirche dem Volk eine Stimme verlieh - Die evangelische Friedensarbeit und ihr Einfluss auf die politische Wende in der DDR
Geschichte
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Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Zielsetzung der hier vorgelegten Studie soll eine Auseinandersetzung mit dem wohl massivsten Widerstand seitens der Bürger gegen die SED-Regierung in der DDR in den 80er Jahren sein. Dieses Zeitfenster war durch den Beginn der Friedensarbeit durch die Aufnahme der Friedensdekade gekennzeichnet und gipfelte schließlich in einer Bewegung der Bevölkerung, die durch ihre quantitativen Ausmaße zum Zusammenbruch der SED-Diktatur führte. In dieser Studie wird sowohl auf die Gründe und Entwicklungen eingegangen, die zu dem äußerst gespannten Verhältnis zwischen SED-Regierung und der evangelischen Kirche führten - v.a. in Hinblick auf die rechtliche Grundlage innerhalb der Verfassung der DDR, dem damit einhergehenden Selbstverständnis und der politischen Verortung der ev. Kirche und ihr gesellschaftliches Engagement - und inwieweit die im kirchlichen Kontext organisierte Friedensarbeit durch die Kooperation mit weiteren alternativen politischen Strömungen und Gruppierungen dem Volk nicht nur als Schutzraum diente, sondern ihm letztlich eine Stimme verlieh. Inwieweit die evangelische Kirche demnach Einfluss auf den Zusammenbruch des staatlichen Systems hatte wird weiterhin geklärt, indem die diesbezügliche Kontroverse aufgegriffen und hinsichtlich der Authentizität des kirchlichen Wirkens während des SED-Regimes diskutiert wird. Außerdem werden konkrete Fallbeispiele - u.a. ein Interview mit einem Zeitzeugen aus dem kirchlichen Umfeld - zum politischen Engagement einzelner Personen und Gruppierungen gegeben. Abgeschlossen wird die Studie mit einem Ausblick auf die Nachhaltigkeit der stattgefundenen Friedensarbeit.
Textprobe: Kapitel 3, Zeichen setzen: Wichtige Persönlichkeiten und ihr Wirken im Widerstand - Zwei Beispiele: Im folgenden Kapitel sollen zwei Fallbeispiele angeführt werden. Es handelt sich bei beiden Fällen um evangelische Pfarrer, deren Arbeit und Wirken die Aufmerksamkeit des MfS auf sich gezogen hat. Zunächst wird ein kurzer Eindruck der Personen anhand eines Lebenslaufes und der Beschreibung ihrer Tätigkeiten gegeben, anschließend erfolgt eine Verortung dieser Aktivitäten. Im ersten Fall handelt es sich hierbei um die Reaktionen der Umwelt auf die Aktivitäten des Pfarrers Brüsewitz, im zweiten Fall wird eine Beurteilung der Ereignisse um den Pfarrer Storck gegeben. 3.1, Fallbeispiel Oskar Brüsewitz: ‘Das Fanal von Zeitz’: Der Pfarrer Oskar Brüsewitz ist weit über den Osten hinaus bekannt geworden, denn auch die Westmedien haben großes Interesse an den Geschehnissen der damaligen Zeit gehabt. Oskar Brüsewitz ist lange Zeit sehr aktiv in der kirchlichen Arbeit gewesen und ist dem MfS ständig durch seine unkonventionellen Methoden aufgefallen. Trotz erheblicher Behinderungen seiner offenen Gemeindearbeit, beispielsweise durch Versetzung, hat Oskar Brüsewitz immer nachhaltigen Eindruck hinterlassen und sich sehr engagiert für gesellschaftliche Reformen eingesetzt, indem er stets öffentlich für Reformen eingetreten ist und sich nicht den Mund hat verbieten lassen. Angesichts der scheinbar ausweglosen Situation in diesem Bestreben, es ist kein deutliches Entgegenkommen seitens des Staates zu sehen gewesen, ist es zu einer letzten verzweifelten Tat des Pfarrers gekommen, die Bürger der DDR, und durch das Medieninteresse auch die der BRD, auf die sozialen Missstände innerhalb des Landes aufmerksam zu machen: 1976 hat sich der Pfarrer öffentlich vor einer Kirche selbst verbrannt. 3.1.1, Leben und Wirken: Oskar Brüsewitz wurde am 30. Mai 1929 in Willkischken in Ostpreußen in ärmlichen Verhältnissen als Kind einer Handwerkerfamilie geboren. Nach dem Besuch der Volksschule begann er im Jahr 1943 eine kaufmännische Lehre, die er jedoch aufgrund der Kriegsgeschehnisse nicht beenden konnte und schließlich ein Jahr später in den Westen floh. Dort wurde er jedoch im Alter von 15 Jahren von der Wehrmacht eingezogen und nach Warschau geschickt wurde, wo er erneut einen Fluchtversuch wagte, der allerdings fehl schlug. Bereits nach kurzer Zeit an der Front geriet der junge Soldat in sowjetische Kriegsgefangenschaft, welche er im Herbst 1945 verlassen konnte. Daraufhin begann er noch im gleichen Jahr in der Nähe von Chemnitz eine dreijährige Lehre zum Schuhmacher, die er erfolgreich absolvierte. Nach seiner bestanden Gesellenprüfung zog er nach Melle um und eröffnete dort eine eigene Schuhmacherwerkstatt. 1951 machte er schließlich seinen Meister im Schuhmacherhandwerk und heiratete etwa zur gleichen Zeit. Als ein Jahr später seine Tochter Renate geboren wurde zog Brüsewitz gemeinsam mit seiner jungen Familie nach Hildesheim um. Das Familienglück währte allerdings nicht lange und die Ehe wurde bereits ein Jahr später wieder geschieden. Um sich nun neuen Herausforderungen zu stellen siedelte Brüsewitz 1954 in die DDR über und beginnt eine Ausbildung an der Predigerschule Wittenberg. Diese Ausbildung musste er jedoch noch im gleichen Jahr aufgrund einer schweren psychosomatischen Erkrankung aufgeben, und begab sich zur Rehabilitation in Kur. Nach seiner baldigen Genesung ging Brüsewitz nach Leipzig und eröffnete dort 1955 erneut eine eigene Schuhmacherwerkstatt. Noch im gleichen Jahr heiratete Brüsewitz seine Leipziger Bekanntschaft Christa Rohland und beteiligte sich seinen religiösen Interessen gemäß sehr engagiert im Leipziger Gemeindeleben. Bereits nach einjähriger Ehe wurde dem Ehepaar Brüsewitz 1956 der Sohn Matthias geboren, 1958 bekamen sie eine Tochter, die auf den Namen Esther getauft wurde. 1960 erkrankte Brüsewitz erneut und die Familie zog daraufhin nach Weißensee um, wo die zweite gemeinsame Tochter, Dorothea, zur Welt kam. In Weißensee arbeitete Brüsewitz als selbstständiger Schuhmacher und wurde schließlich Zweigstellenleiter eines Geschäfts der PGH Sömmerda. Auch in dieser Gemeinde gestaltete Brüsewitz das Gemeindeleben aktiv mit und kümmerte sich v.a. um die Jugendarbeit und die Evangelisationsarbeit des Kirchenkreises Sömmerda. Sein Engagement wurde jedoch seitens des Staates wie auch von einzelnen Gemeindemitgliedern kritisch beäugt, da Brüsewitz sehr energisch und innovativ für die Gemeindearbeit geworben hatte. So nahm er 1964 abermals eine Ausbildung an einer Predigerschule, diesmal in Erfurt, auf und beendete diese schließlich 1969. Ein Jahr später übernahm er eine Pfarrstelle in einer evangelisch-lutherischer Gemeinde des Ortes Rippicha im Kreis Zeitz. Auch hier schürte er bereits nach kurzer Amtszeit interne und externe Konflikte durch seine unkonventionelle Art und Weise, Menschen seiner Gemeinde für Kirchenarbeit und die Teilnahme an den Gottesdiensten zu gewinnen. Er brachte beispielsweise Plakate mit evangelisierenden Botschaften neben kommunistischen Propaganda-Plakaten an und an seiner Kirche konnte man ein Kreuz, welches aus Neonröhren zusammengesetzt wurde, bewundern. Die Symbolik und Innovation der Ideen Brüsewitz’ hatten neben dem bereits erwähnten Konfliktpotential jedoch auch zur Folge, dass seine Kirche immer außerordentlich gut besucht war und die Gemeinde verhältnismäßig aktiv an der Kirchenarbeit mitwirkte. 1976 wurde dann Pfarrer Brüsewitz die Versetzung in eine andere Gemeinde nahe gelegt, da die Kirchenleitung eine offene Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen fürchtete. Im August des selben Jahres folgte die Reaktion Brüsewitz’, die weitreichende Konsequenzen hatte. Am 18.8. entrollte Pfarrer Brüsewitz demonstrativ vor der Michaeliskirche in Zeitz einen Banner, auf dem er seine Meinung zur derzeitigen Situation offen kundtat: ‘Funkspruch an alle: Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen’ . Nach dem Entrollen des Plakates stellte sich Brüsewitz auf den Kirchenplatz, übergoss sich mit Benzin und entzündete dies. Unmittelbar waren Mitarbeiter des MfS zur Stelle, löschten den Pfarrer und entfernten den Banner. Brüsewitz wurde in das Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau gebracht, wo er vier Tage später an seinen schweren Verletzungen durch die Verbrennungen starb. In dem von ihm verfassten Abschiedsbrief erklärte er seine Tat dadurch, dass er als Zeuge der Unterdrückung der Gesellschaft in der DDR einen Sendungsauftrag zu erfüllen hätte. Er beklagte den ‘scheinbaren tiefen Frieden, der auch in die Christenheit eingedrungen [sei]’, während ‘zwischen Licht und Finsternis ein mächtiger Krieg [tobe]’. Pfarrer Brüsewitz hat durch seine Protestaktion ein Exempel statuiert, das als ‘Fanal von Zeitz’ bekannt wurde und in die Geschichte einging. 3.1.2, Die Reaktionen auf die Selbstverbrennung: Das MfS konnte zwei Tage lang die Protestaktion des Pfarrers Brüsewitz vertuschen und aus den Medien fern halten. Nachdem die Fernsehanstalten und der Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland jedoch am 20. August von dem Freitod des Pfarrers In Zeitz berichteten, waren auch die staatlichen Stellen der DDR gezwungen, Stellung zu beziehen. Sie bezeichneten Brüsewitz mit Hinweis auf seine vorherigen psychischen Erkrankungen als Psychopathen und verschwiegen so die Botschaft, die Brüsewitz verbreiten und publik machen wollte. Die Verleumdung der Geisteskrankheit, die Brüsewitz zu der Tat getrieben haben soll, wurde gegen Ende des Monats August von den Zeitungen ‘Das Neue Deutschland’ und die ‘Neue Zeit’ unterstützt. Am 22. August verfasste die Kirchenleitung der DDR ein ‘Wort an die Gemeinde’, das einen Aufruf zur Fürbitte enthielt und in den Gottesdiensten verlesen wurde. Das ‘Wort an die Gemeinde’ nahm Abstand sowohl von den Unterstellungen, dass Brüsewitz psychisch gestört war, als auch von dessen Absicht, ‘das Geschehen in Zeitz zur Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik zu benutzen’. Bei der Bevölkerung stieß die Radikalität der Protestaktion auf ‘positive’ Resonanz. Eine Welle der Solidarisierung griff um sich und die evangelische Kirche sah sich erstmalig bewusst als Raum der Opposition. Auch einige andere Personen nutzten das öffentliche Interesse an der Aktion des Pfarrers Brüsewitz und bekannten öffentlich ihre Zustimmung zu dessen Botschaft: Am 11. September 1976 gab der Liedermacher Wolf Biermann sein erstes Konzert nach elfjährigem Berufsverbot in der Prenzlauer Nikolaikirche und bezeichnete die Verbrennung von Oskar Brüsewitz als ‘Republikflucht in den Tod’. Der Auftritt und die Fürsprache für die Aktion seitens Brüsewitz’ führte zwei Monate später zur Ausbürgerung des Liedermachers. ‘Biermann hat mit seinen Liedern [...] vielen Sprache geliehen, sie aus der Dumpfheit des stummen Ertragens befreit. Von nun an fanden Schriftsteller, die bei der SED in Ungnade gefallen waren, immer häufiger in kirchlichen Veranstaltungen ihr Publikum’. Weiterhin wehrten sich ‘35 junge Marxisten’, zu denen auch bekannte Personen wie die Liedermacherin Bettina Wegner und der Autor Klaus Schlesinger gehörten, in einem Protestschreiben an das Zentralkomitee gegen die Verleumdung Brüsewitz’ in den Medien. Die Marxisten und die evangelische Kirche stellten sich gemeinsam gegen die DDR- Regierung. In der Bundesrepublik Deutschland wurde am 18. Juni 1977 in Bad Oeynhausen das ‘Christlich-Paneuropäische Studienwerk’ gegründet, das am 18. Oktober 1977 das so genannte Brüsewitz-Zentrum, dessen Ziel es gemäß der Satzung ist, ‘im christlichen Geiste der Grund- und Menschenrechte zur besseren Verständigung, Zusammenarbeit und Solidarität im ganzen deutschen Volk, in Europa und zwischen den Völkern der Welt beizutragen’ . Die Verletzung der Religionsfreiheit in der DDR sollte ins öffentliche Bewusstsein gerückt und transparent gemacht werden. 1983 musste die Tagungsstätte aus finanziellen Gründen aufgegeben werden, jedoch wurde die Organisation der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit daraufhin in ein Büro in Bonn verlegt. Allerdings wurde auch dieses Büro nach der Wende und der damit eingeleiteten deutschen Einheit im Jahre 1990 ebenfalls geschlossen. Auch die Zeitung ‘Das Neue Deutschland’ entschuldigte sich 30 Jahre nach dem Tod von Oskar Brüsewitz 2006 öffentlich für den verleumderischen Artikel, den es 1976 über die Geschehnisse um Brüsewitz veröffentlicht hatte und rechtfertigte dies damit, dass der besagte Artikel ‘in einem der zahlreichen Büros des Zentralkomitees der Partei’ verfasst worden sei. In diesem Zusammenhang wurden außerdem einige ausgewählte Leserbriefe veröffentlicht, die bereits kurz nach der Veröffentlichung des Artikels 1976 an die Zeitung geschickt wurden, aufgrund der Kritik an der Regierung jedoch nicht publik gemacht wurden.
Sina-Christin Wilk, M.A., wurde 1985 in Bünde geboren und wuchs in der ostwestfälischen Kleinstadt Herford auf. Sie studierte an der Universität Bielefeld die Fächer Evangelische Theologie und Erziehungswissenschaften, die sie 2009 mit dem Bachelor of Arts abschloss. Im Anschluss hieran absolvierte sie ein fachwissenschaftliches Studium der Literaturwissenschaft, durch welches sie 2012 erfolgreich den akademischen Grad Master of Arts erwarb. Während des Studiums legte die Autorin ihre inhaltlichen Schwerpunkte einerseits v.a. auf Literatur und evangelische Kirche im Kontext der DDR, andererseits wiederum fokussierte sie sich auf interkulturelle Literaturwissenschaft wie auch auf Aspekte des interreligiösen Dialogs. Praktische Erfahrungen in beiden Bereichen erwarb die Autorin durch ehrenamtliches Engagement sowohl in kulturellen wie auch in sozialen Institutionen verschiedener Art.
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